Altötting hat nicht nur Glockenklang, Maiandachten, Lichterprozessionen, sondern auch die Ansammlung der Sünde unter dem schuldbewussten Gemurmel, das tagtäglich in der Kapelle schnurrt, manchmal aus ältlichem Kindermund eines Kanonikers über Lautsprecher singt: Maria mit dem Kinde lieb, uns allen deinen Segen gib!

Wer es gewöhnt ist, wie die Eingeborenen und die Wallfahrenden, wird sich nicht wundern, bemerkt auch nicht die kindliche Diskrepanz und Hilflosigkeit, die jene Marienverehrung und Wundersüchtigkeit zur christlichen Verkündigung und Verantwortung darstellt: Die Priesterschaft rührt alles immer wieder in der gleichen frommen Sauce an, jedes Thema wird ins Gebet genommen und der göttlichen Lösung, vertreten durch Marias Fürsprache, anheimgestellt.

O Maria hilf, o Maria hilf!
O Maria hilf doch mir!

Ein armer Sünder kommt zu dir.
Im Leben und im Sterben
lass mich nicht verderben,
lass mich in keiner Todsünd sterben.
Steh mir bei im letzten Streit,
o Mutter der Barmherzigkeit!
Amen.

Das Gebet um eine gute Sterbestunde war auch eine der befremdlichen Seiten unserer Mutter: Als Kind schon immer ihre Ängste zu hören, die nicht erklärbar waren, nur mit einem Stöhnen „Das verstehst du nicht“ beantwortet wurden: Unermessliche Angst, Leid, wohl auch schlimme Erlebnisse waren darin vergraben, hatten ihre Erinnerungspunkte beim Schlafen gehen:

Gebet zur Mutter von der immerwährenden Hilfe

Jungfrau, Mutter Gottes mein
laß mich ganz Dein eigen sein

Dein im Leben, Dein im Tod
Dein in Unglück, Angst und Not
Dein in Kreuz und bittrem Leid
Dein für Zeit und Ewigkeit

Mutter auf Dich hoff‘ und baue ich
Mutter zu Dir ruf und seufze ich
Mutter Du gütigste, steh mir bei
Mutter Du mächtigste, Schutz mir leih

O Mutter, so komm, hilf beten mir
O Mutter so komm, hilf streiten mir
O Mutter so komm hilf leiden mir
O Mutter so komm und bleib bei mir

Du kannst mir ja helfen, o Mächtigste
Du willst mir ja helfen o Gütigste
Du mußt mir nun helfen o Treueste
Du wirst mir auch helfen Barmherzigste

O Mutter der Gnade, der Christen Hort
Du Zuflucht der Sünder, des Heiles Port
Du Hoffnung der Erde, des Himmels Zier
Du Trost der Betrübten, ihr Schutzpanier

Wer hat je umsonst Deine Hilf angefleht
Wann hast Du vergessen ein kindlich Gebet
Drum ruf ich beharrlich, in Kreuz und in Leid
Maria hilft immer, sie hilft jederzeit

Ich ruf voll Vertrauen im Leiden und Tod
Maria hilft immer, in jeglicher Not
So glaub‘ ich und lebe und sterbe darauf
Maria hilft mir in den Himmel hinauf, Amen.

Das hörten wir wohl auch zwei mal die Woche noch nachmittags im Rosenkranz, für Anerkenungsbildchen und die Freundlichkeit des Fräulein Göttler, der Mater Sowieso, die uns in der ersten Klasse der Schule lehrten.
Die schweren geschnitzten Kirchentüren, hinter denen der „Tod von Ötting“ (gesprochen: Dod vo Äding) seine Sense auf einer orgelhohen Uhr schwingt, jedes Mal ein Menschenleben mähend, waren für uns Kinder nicht leicht aufzudrücken, und meist war das fromme Geschehen schon im Gange, wenn wir neben den mumifizierten tüllverhüllten und mit Steinen bestickten Heiligenschreinen in den Seitenaltären zu den vorderen Bänken eilten.

Jahre später sahen wir den Tod auf gleicher Höhe, wenn wir im Chor sangen, lernten auch die versteckten Türen in der Kapelle nutzen, um unser „Salve Regina“ in den schwarzen Gewölben zu trällern.

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