ich,
wilder, gerissener,
sohn des schweigers und der verstummten,
tanze und stammele, schweige und brumme,
ich,
friedrich georg,
sohn des friedrich und enkel des georg,
zwischen dem hitlerjungen und seinem kritischen vater.
wir, zerrissene
zwischen elternkrieg und dachauschweigen,
hakenkreuzhoffnungen und hungerträumen,
bunkersprengende zukunftskraft überstanden
haben gelernt
schnell still zu sein,
wenn sie ihren sorgenvollen blick warfen
ob wir schon wieder dumme fragen auf der zunge
statt der hostie des schweigens zum wiederaufbau.
an roten abenden
sitzen wir lange und können gut schweigen
wenn wir verstanden haben, was wir nicht wissen
sollten und dann auch wollten und wie wir lernten
ohne zu wissen nicht mehr dran zu denken und zu vergessen.
unruhig
und oft viel zu geschwätzig bereden wir alles
damit nichts gesagt wird, das noch schlimmer ist
als das vielsagende schweigen, das wir ertragen lernten
und das uns noch unbekanntere freuden verheimlichen könnte
das noch die angstlust und die lustangst
wie eine grante zünden und ein phosphorlicht aufstecken könnte
zwischen die immer schon rechtschaffenen und die anderen,
denen jetzt verziehen werden muss, was sie selber nie eingestehen.
in altenheimen
liegen sie jetzt einsam und grübeln
zwischen alpträumen und phantomschmerzen
was sie im bdm, in der hj, im bunker und auf der flucht
dem nsv, der daf, dem winterhilfswerk nie anvertrauen konnten.
und wir
tanzen und stammeln
suchen unsere hemmnisse und sehnsüchte
und unsere wildheit zu verstehen, mit der wir gerechtigkeit
und ehrlichkeit suchten, wo für sie nur endlich überleben war.
und ich
steh nun zwischen gräbern, die ich früher nie
ernst nehmen konnte, die mich jetzt erleichtern,
alle die damals so bedrohlich bekannt und fremd waren,
liegen jetzt ruhig, und kann mich schöneren zukünften widmen.
wenn ich dabei
nur nicht so unruhig wäre,
dass ich vielleicht die schönste zeit
meines lebens schon genossen habe
und nun in ruhe die sachen in ruhe bringe,
die so lang nicht ruhen konnten.
frieden wollten wir
schaffen. jetzt werd ich etwas friedlicher mit den menschen,
unfriedlicher zu den systemen der selbstbedienung und der
waffenhändler, beschwichtiger, geldverdiener und anpassenden,
die in ihrer reichen unschuld nix wissen wollten.
du hast durchgehalten,
bis zum ende, das ich mir nicht so bitter wünsche:
eher schokoladenbitter geschmacksreich vollmundig
wie die küsse, umarmungen und abenteuer der lust
unseres gewagten lebens auf dem weg zu neuer zukunft.
3. fassung
fritz Letsch
nsv: nationalsozialistische volkswohlfahrt, organisierte das winterhilfswerk
daf: deutsche arbeitsfront, die beiden grössten massenorganisationen des 3. reiches
bdm: bund deutscher mädchen, hj: hitlerjugend, …
25. September 2005 um 11:17 Uhr
Widerstand
Immer noch suchend
wo Gegenwehr
möglich ist
(möglich bleibt oder wird)
nicht nur als Geste
oder zumindest
als Geste die etwas
lebendig
unabgestumpft
erhalten hilft
wenn das vielleicht auch
zuerst nur der eigene Abscheu ist
Angst
die sich weigert
sich ducken vor dem
was so mächtig scheint
allmächtig
bis auf die Hoffnung
daß diesen Abscheu
diese Angst
diese Weigerung sich zu ducken
andere teilen
(Erich Fried, Gesammelte Werke, Gedichte 2, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 1993, Seite 137)