Klima: Das Amtsgericht entschied, die Staatspresse / Radio schwieg?

Im Herbst 2022 gab es große Berichte über die monatelangen Gefängniszeiten für „Klimakleber“ und Demonstrationen gegen den Missbrauch des bayrischen Polizeiaufgabengesetz (PAG), das angeblich gegen Terrorismus verabschiedet worden war.

Nichts zu hören war für über die Entscheidung des Amtsgericht München vom 7.12.2022

Zumindest in den Radio-Nachrichten war es nicht zu hören, und auch wenn der Text für nicht-Rechts-Studierte schwer verdaulich ist, sollte die Entscheidung für Bayern weitergesagt werden: An den Stammtischen kommt die Watschn der Justiz für Innenminister und ReGierung sonst nie an … Solidarisch gegen Kriminalisierung: Transparent vor dem Knast Stadelheim München

Ingewahrsamnahme von Klimaaktivistinnen bei Sitzblockaden auf Münchener Straßen

Leitsätze:

1. Eine Sitzblockade von Klimaaktivistinnen stellt eine Versammlung dar, die den Schutzbereich des Art. 8 GG eröffnet. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Polizeigewahrsam stellt keine geeignete Maßnahme dar, Klimaaktivistinnen von der Durchführung weiterer Aktionen abzuhalten, so dass sich der Fall im Vergleich zu den üblichen Fällen der Anwendung von Art. 17 Abs. 1 PAG unterscheidet. (Rn. 14 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Ingewahrsamnahme von Aktivisten einer Sitzblockade steht das Übermaßgebot der Verhältnismäßigkeit entgegen. (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es kann bezweifelt werden, dass das Festkleben auf der Fahrbahn als Nötigung gem. § 240 StGB strafbar ist. (Rn. 26 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
5. Freiheitsentzug im Polizeirecht ist die ultima ratio und im freiheitlich demokratischen Rechtsstaat einer der tiefsten möglichen Eingriffe in die Grundrechte der Bürger. Geringfügigen Straftaten mit diesem Mittel zu begegnen ist nicht verhältnismäßig. (Rn. 41 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versammlungsfreiheit, Ingewahrsamnahme, Freiheitsentziehung, ultima ratio, legitimes Ziel, bayerisches Polizeiaufgabengesetz, Sitzblockade, Klimaaktivistinnen

Fundstelle:

BeckRS 2022, 41330 – AG München, Beschluss v. 07.12.2022 – ERXXXI XIV 1281/22 L (PAG)

Eine Regierung, die Klimaaktivisti zu Staatsfeinden erklärt= Bankrotterklärung politischen HandelnsTenor

1. Der Antrag der Antragstellerin auf Feststellung der Zulässigkeit der bisherigen Freiheitsentziehung und Anordnung der Fortdauer der Freiheitsentziehung nach Art. 17, 18 PAG wird zurückgewiesen.
2. Der Betroffene ist aus dem polizeilichen Gewahrsam zu entlassen.
3. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.
4. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen d. Betroffenen hat der Freistaat Bayern zu tragen.

Gründe

dort weiterlesen: gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2022-N-41330?hl=true

BR meldet (Anja Bischof und Birgit Grundner, 03.05.2023, 16:34 Uhr)

„Drei Klimaaktivisten aus Franken in München vor Gericht

Weil sie an einer Straßenblockade von „Scientist Rebellion“ in München teilgenommen haben, stehen drei Klimaaktivisten aus Franken vor Gericht. Sie sind wegen Nötigung angeklagt. Das Urteil wird Mitte Mai erwartet.

Am 28. Oktober 2022 hat eine Gruppe von rund 20 Aktivisten der „Scientist Rebellion“ gegen Mittag („100 Sekunden vor 12“) eine Fahrbahn vor dem Münchner Justizpalast blockiert. Drei der Protestierenden hielten mit Hilfe eines Megafons kurze sogenannte Vorlesungen, um ihre Botschaft zu verbreiten. Nach rund eineinhalb Stunden beendete die Polizei den gewaltfreien Protest und trug die Aktivisten von der Straße.

Nun mussten sich die drei Protestierenden, die in diesem Rahmen eine „Vorlesung“ gehalten haben, wegen des Vorwurfs der Nötigung vor Gericht verantworten. Einer von ihnen ist der Ordenspriester Jörg Alt aus Nürnberg. Die anderen beiden kommen aus Bayreuth: der 21 Jahre alte Student Luca Thomas und die Wissenschaftlerin Cornelia Huth.

Wissenschaftlerin: „Klima-Notstand sollte Widerstand rechtfertigen“

Cornelia Huth ist eine 45 Jahre alte Epidemiologin, Ökotrophologin und Medical Science Managerin und Mutter zweier Teenager. Sie hat sich vor rund einem Jahr der Gruppe „Scientist Rebellion“ angeschlossen. „Mein Sohn hat sich als erster in der Familie mit Klimathemen befasst und war sehr besorgt. Ich wollte ihn beruhigen, begann zu recherchieren und merkte schnell: Er hat recht.“ Aktionen wie die Blockade am Stachus gehen ihr eigentlich „gegen den Strich“, sagt Huth im Gespräch mit BR24.

Trotzdem überwindet sie sich regelmäßig, um ihre Botschaft zu transportieren: „Die enorm bedrohliche Erderhitzung, auf die wir gegenwärtig zusteuern, wird mit unserer Zivilisation nicht vereinbar sein. Wir befinden uns in einem Klima-Notstand, der von den Gerichten als Rechtfertigung für gewaltfreien Widerstand anerkannt werden könnte.“

Bayreuther Klimaaktivist: „Andere Aktionsformen reichen nicht aus“

Mit 21 Jahren zählt der Bayreuther Geoökologie-Student Luca Thomas zu den jüngeren Klimaaktivisten. Er war zum Protest nach München gekommen, um „Scientist Rebellion“ zu unterstützen, er selbst ist unter anderem Mitglied der „Letzten Generation“. Für ihn gibt es keine Alternativen zu friedlichen, Aufsehen erregenden Protestaktionen wie der Straßenblockade vom 28. Oktober. „Da andere Aktionsformen nicht ausgereicht haben, habe ich mich aus Verzweiflung an der Aktion beteiligt“, betont der Student und spricht auch von seiner Zukunftsangst: „Ich weiß, dass ich mein Leben in den nächsten 50, 60 Jahren nicht so leben kann, wie ich es gerne würde“, sagt er im BR24-Interview.

Dass er eine Gefängnisstrafe riskiert, die mit einer Vorstrafe einhergehen würde, nimmt er in Kauf. „Gefängnis ist eine Option, die ich in Betracht ziehe, wenn ich eine mögliche Geldstrafe nicht bezahlen kann“, so Luca Thomas, der schon einmal wegen einer ähnlichen Aktion vor Gericht stand. Damals kam er mit einer kleinen Geldstrafe davon. Das Urteil des Gerichts erwarte er mit Spannung.

Jesuitenpater Jörg Alt: „Ziviler Widerstand ist alternativlos“

Der prominenteste Unterstützer der Straßenblockade am 28. Oktober 2022 ist der Jesuitenpriester Jörg Alt aus Nürnberg. Der 61-Jährige hat bereits für Schlagzeilen gesorgt, als er öffentlichkeitswirksam containern ging und ein Buch über die „Letzte Generation“ schrieb. Seine Motivation für die Teilnahme an der Stachusblockade verbreitet er vor dem Gerichtstermin in einer Mitteilung an die Medien: „Wir blockieren Straßen, weil uns die politischen Blockaden beim Klimaschutz dazu nötigen. Jesuiten aus dem Globalen Süden alarmieren uns seit Jahren, dass die Klimakatastrophe dort bereits in vollem Gang ist, Menschen sterben, leiden und heimatlos werden. Diese Entwicklungen werden mit 99,9-prozentiger Sicherheit dramatisch zunehmen.“

Mit herkömmlichen Mitteln sei es ihm nicht gelungen, Wissen über die Handlungsnotwendigkeit und Dringlichkeit in Gesellschaft und Politik zu verankern. Für ihn sei aus diesem Grund die Teilnahme an „angekündigten und friedlichen, aber nicht ignorierbaren Aktionen zivilen Ungehorsams und Widerstands moralisch geboten, gerechtfertigt und in vielerlei Hinsicht alternativlos“.

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