Die Kultur des Schweigens im Bildungssystem

„Schule und Universität sind staatliche Institutionen, die traditionell einen unterschiedlichen Bildungsauftrag hatten, sich jedoch heute zunehmend angeglichen haben. Während in der Schule das zu erlernende Wissen bereits weitgehend vom Lehrer gewusst wurde, sollte an der Universität durch forschendes Lernen das Wissen zwischen StudentInnen und ProfessorIn neu geschaffen werden.

Dieses auf Kooperation angelegte, grundsätzlich egalitäre Ergänzungsverhältnis war jedoch unvereinbar mit der hierarchischen Struktur universitärer Institution und ist nie verwirklicht worden. Ein ähnliches Schicksal erfuhr die Oberstufenreform an den Schulen, wo zwar Freiräume für das forschende Lernen möglich wurden … diese Entwicklung jedoch alsbald an die Grenzen institutionalisierter Sozialisationsmuster stieß.

So werden die Kinder auch heute noch in der Schule mehrheitlich im klassischen Frontalunterricht zum Schweigen verdammt, sie lernen zuzuhören, still zu sitzen und aufzunehmen, was der Lehrer sagt. Die Vermittlung von Fachwissen tritt hierbei oftmals in den Hintergrund. Für die kritische Selbstreflexion, geschweige denn ein Denken in Ambivalenz ist kaum Zeit vorgesehen.“

Ilse Schimpf-Herken schreibt zur Kultur des Schweigens im Hochschul-System, greift aber tiefer:

„Unser Bildungsverständnis reproduziert nach wie vor einen aufklärerischen Anspruch. Hierbei ist die Lehrerrolle eine belehrende, die Rolle des/r Studierenden als eine lernende festgeschrieben, der Lehrer spricht, die Lernenden hören zu, der Lehrer ist im Besitz des Wissens, die Schüler sind passive Rezipienten. 

Wenn man diese Dichotomien zu Ende denkt, entsteht ein Bild, das Hierarchien errichtet und das Erlangen von Wissen zu einem erstrebenswerten Ziel macht. Wenig Wissen ist wenig Wert, viel Wissen ist viel Wert. Über Bildungseinlagen (Freire) werden die Menschen wohlhabend, sie werden zum Maß gesellschaftlicher Entwicklung und Privilegien. 

Erst an der Universität, in meiner 6-jährigen Auseinandersetzung mit den KollegInnen und ihrem Privilegien-Denken ist mir dieser Zusammenhang ganz deutlich geworden. Berufsbeamtentum und die wachsende Fragmentierung in Teil­disziplinen sind kontraproduktiv für eine gesellschaftsbezogene Wissenschafts­entwicklung. 

Eine Wissenschaft, die sich auf höhere Einsicht oder Weisheit beruft, hat bereits die Solidarität mit denen aufgekündigt, die sie beurteilt. Wir, die WissenschaftlerInnen, sind Teil der gesellschaftlichen Veränderungen, unsere Wahrnehmung wird durch den Kontext geprägt, Lehre und Forschung sind somit Ausdruck des Zeitgeistes und der gesellschaftlichen Machtverhältnisse.Wissenschaft ist nicht neutral, weil sie von Menschen gemacht wird, wir sind Teil von ihr!

Ohne dass wir uns dessen bewußt geworden wären, sind wir jedoch von Klein auf im „hidden curriculum“ (I.Illich) durch eine Sozialisation zur Anpassung und zum Gehorsam konditioniert worden, die unsere Wahrnehmungsfähigkeit in Paulo Freire mit Stift-Schwert

a) – unseren Umgang mit der partikularisierten Wissenschaft,

b) – mit der hierarchisch konzipierten Lehre und

c) – der Universität als staatlichen Institution prägen.

Diese drei Ebenen, die ich im Folgenden genauer untersuchen möchte, treten nicht unabhängig von einander auf und können nicht isoliert betrachtet werden. Nur in ihrer Wechselwirkung wird das Hierarchisierungs- und Ausschlussgeflecht transparent, das die Universitäten heute noch immer zu einer der Hochburgen des geistigen und `politischen Analphabetismus´ (P. Freire) machen.“

Begegnung verändert Gesellschaft - von Paulo Freire inspiriert

Begegnung verändert Gesellschaft
Ansätze einer von Paulo Freire inspirierten Bildungspraxis – ab Februar lieferbar

Mehr: https://kritische-praxis.blogspot.com/2021/02/kultur-des-schweigens-der-universitat.html

Das Buch im Titel erscheint demnächst:

Ansätze einer von Paulo Freire inspirierten Bildungspraxis – ab Februar lieferbar

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