Kurze Einführung in die Methodik
Augusto Boal entwickelte in den siebziger Jahren die Grundlagen des Theater der Unterdrückten, die wichtigste Methode darin ist das Forum- Theater, in dem das Publikum unter Anregung durch einen Joker die Szenen der Spielenden verändern kann.

Damit hat Boal aus der Not der politischen Verfolgung in Brasilien die Tugend der Beteiligung geschaffen, wie sie Brecht in seinen Theater- und Rundfunk-Modellen vorgeschwebt hatte.

1992 bis 1996 war Boal aus der dortigen Theaterarbeit zum Stadtrat von Rio de Janeiro geworden und brachte mit seinen Mitarbeitenden 19 ständige Gruppen zu Themen und aus Stadtvierteln dazu, ihre politischen Anliegen in Szenen zu fassen und mit den Veränderungsvorschlägen aus dem Publikum auch als Gesetzesvorlagen einzubringen.

Von den über 50 Vorlagen wurden 13 sofort zu Gesetzen und Verordnungen, z.B. in den Bereichen behindertenfreundliche Strassen- und U-Bahn-Gestaltung, in der Ökologie, Geriatrie und Diskriminierung sowie beim Zeugenschutz nach Morden, was bis in die Staatsgesetze weiterwirkte.

> Ausführlicher dazu auf meiner Homepage oder im Buch Legislative Theatre (in English) bei Routledge, London 1998

Spannungsfelder politischer Beteiligung

Im Oktober 1997 hatten wir in München den ersten europäischen Versuch bei einem KollegInnentreffen mit den Methoden in München gemacht, und zuerst noch symbolische Gesetzesvorschläge im Rathaus präsentiert.
Deutlich wurde schon in dieser Lernsituation, was sich in weiteren Projekt- Versuchen bestätigte: Die Einen glauben nicht an die Kraft guter Szenen, die Anderen nicht an den Dialog, die Meisten nicht an die Durchsetzung politischer Ideen im gesetzlichen Rahmen.

In all den Erörterungen der Politikverdrossenheit wurde die Starrheit unseres Parteiensystems als Besitzer der politischen Macht (und Stellvertreter der finanziellen Macht) selten so deutlich, wie sie aus der Utopie- und Hoffnungslosigkeit vieler Teilnehmender spricht:

Wo die Einen mit Moral kämpfen wollen, die allerdings nicht die unseres Systems ist (was den Dialog wieder unmöglich macht), geben die Anderen sich selbst zu wenig Gewicht und Klarheit, die Gestaltung der Gemeinde und des Staates in die Hand zu nehmen. Zu sehr haben wir uns, auch zuletzt noch durch grüne PolitikerInnen, das denken von Stellvertretern abnehmen lassen.

In der Arbeit mit politisch Engagierten stellte sich wiederum heraus, daß in der eigenen Fanatisierung die Bereitschaft zum wirklichen Dialog mit dem Publikum auf der Strecke bleibt: Wir sind Auseinandersetzungen auf gleicher Ebene einfach nicht gewöhnt, lernen in allen Schul- und Arbeits- verhältnissen “gefälschte Dialoge”: Macht-Ausübung und Anpassung …

Zwischen Methode und Anwendung: Gruppen?

Ein zusätzliches Problem der Umsetzung des Legislativen Theaters in unserer Kultur ist das Fehlen arbeitsfähiger Gruppen, die sowohl in die Ebene der Szenen-Entwicklung als auch in den Dialog mit ihren Mitmenschen und die Konfrontation mit den Ebenen der Verwaltung und der Macht gehen können und wollen.

Die breite Zusammenstellung von Bürgerinitiativen aus verschiedenen Schichten und Altersgruppen ist zur Seltenheit geworden, die Bereitschaft, ein Thema über längere Zeit zu bearbeiten, ist oft zur Professionalität geronnen, die dann zu wenig “Humor” mitbringt, die Anliegen auch mit den Methoden des Theaters zu vermitteln.

Dazu ist der Beruf des Jokers nicht sehr leicht zu lernen: Zwischen den Aufgaben, einer Theaterszene durch geeignete Probentechniken zu einer guten Dramatik und den Spielenden zu spannenden Rollen zu verhelfen, und dem offenen Dialog mit dem Publikum bis zur planmässigen politischen Durchsetzung eine Themas liegen zwei bis drei Berufe: Theaterpädagogik, Politik und Moderation, die auch noch wirtschaftlich abgestimmt werden müssen.

Keine Zukunft für diese Methode hierzulande?

Es gäbe da schon ein paar Möglichkeiten, wie Verbände oder Hochschulen, kreative Einrichtungen und Gruppen diese Methoden für sich überprüfen und ihren Einsatz erproben können, aber dazu will ich erst mal
Rückmeldungen:

> ———————————- bitte korrigieren und kommentieren!
Marianna schreibt:
als erstes stelle ich mir die frage, wen du mit diesem text ansprechen / erreichen willst?
dann: was willst du erreichen? wenn du neugierde, interesse, motivation wecken willst, dann, so finde ich, solltest du die neugierde schueren, das „reizende“ antippen, einen dufthauch hinueberwehen lassen….
noch ein paar konkrete sachen, wo ich fragen haette:
> In der Arbeit mit politisch Engagierten stellte sich wiederum heraus, daß in der eigenen Fanatisierung die Bereitschaft …
wer kommt zu dieser feststellung, wo begruendet sie sich…..

> Zwischen Methode und Anwendung: Gruppen?

> Ein zusätzliches Problem der Umsetzung des Legislativen Theaters in unserer Kultur ist das Fehlen arbeitsfähiger Gruppen, die sowohl in die Ebene der Szenen-Entwicklung als auch in den Dialog mit ihren Mitmenschen und die Konfrontation mit den Ebenen der Verwaltung und der Macht gehen können und wollen.

das ist mir auch zu unkonkret.
> Dazu ist der Beruf des Jokers nicht sehr leicht zu lernen

wie sieht der konkret aus?
> Keine Zukunft für diese Methode hierzulande?

> Es gäbe da schon ein paar Möglichkeiten, wie Verbände oder Hochschulen, > kreative Einrichtungen und Gruppen diese Methoden für sich überprüfen und ihren Einsatz erproben können, aber dazu will ich erst mal Rückmeldungen:
warum sollten sie das tun? welche vorteile / interessen koennten die haben? s.o.

Claudia antwortet:
sehr spannender Text (…)
Das Legislative Theater trifft einen Nerv von mir, ist aber auch ein schwieriges Thema für mich. Ich fände es sehr spannend, so eine Jokerfunktion einzunehmen , weil ich in der Moderation von Beteiligungsprozessen ja schon drin war und bin, aber mir fehlt halt völlig die (Theater-)spielerische Seite.

Ich bin nicht hoffnungslos, was den Dialog und die Veränderung angeht, aber ich bin sehr bequem geworden. Ich decke den Bereich „Politische Beteiligung“ in meinem Leben dadurch ab, daß ich in Seminaren Jugendlichen beibringe, wie es funktioniert. Sehr praktisch. Ich bin durchaus zur Zeit an einem Punkt, wo ich darüber nachdenke, mein ehrenamtliches Engagement mal wieder aufleben zu lassen, aber „das Fleisch ist derzeit noch sehr schwach“ und ich habe mich auch noch nicht entschieden, in welchem Bereich ich denn nun wirklich aktiv werden möchte.

Was könntest du Dir denn vorstellen in Bezug auf Verbände oder Hochschulen?

Nicolai meint:
In der Tat ist es wohl so,daß die meisten sich erst wieder bewußt werden, daß es sich in der Politik nicht um Dialoge handelt. Wenn sie dann realisieren daß es möglich ist, politische Lösungen mit echten Dialogen zu erarbeiten und sogar die Körpersprache mit einzubeziehen, fangen ihre Augen zu leuchten an und sie träumen von Salsa, Samba, Palmen, herzlichen Menschen und … offenen Dialogen.

Sie wüßten sogar genau wie sie sich das vorstellen sollen. Dann ein Schulterzucken, ein wehmütiger Seufzer, zurück zu Monologen überlegener Spekulanten unter und über sich… schließlich werden wir nie wie diese Menschen; und: Sofort verkommt die Idee wieder zu einem Stück multikulturellen Exotismus.
Aus der Vielfalt ein Stück eigene Kultur “Made in Munich” zu schaffen? Das klappt nicht mal in der Musik. Sorry,aber in München gibts keine “Negresses vertes”. Bloß “Multikulti”. Man differenziert lieber, als sich zu begegnen.Jedenfalls dort, wo man sich “weltoffen” gibt.

——————————-
Stephan schreibt:
Die breite Zusammenstellung von Bürgerinitiativen aus verschiedenen Schichten und Altersgruppen ist zur Seltenheit geworden, die Bereitschaft, ein Thema über längere Zeit zu bearbeiten, ist oft zur Professionalität geronnen, die dann zu wenig „Humor“ mitbringt, die Anliegen auch mit den Methoden des Theaters zu vermitteln.

Dazu ist der Beruf des Jokers nicht sehr leicht zu lernen: Zwischen den Aufgaben, einer Theaterszene durch geeignete Probentechniken zu einer guten Dranatik und den Spielenden zu spannenden Rollen zu verhelfen, und dem offenen Dialog mit dem Publikum bis zur planmässigen politischen Durchsetzung eine Themas liegen zwei bis drei Berufe: Theaterpädagogik, Politik und Moderation, die auch noch wirtschaftlich abgestimmt werden müssen.

Auf diese beiden Absätze bezugnehmend (der Rest gefällt mir sehr gut):

Die ursprüngliche Idee, der beste Vertreter ist immer noch man selbst, verliert für mich hier an Bedeutung. Wo läge der tiefere Sinn, wenn durch diese Methodik neue Vertreter (Joker) die alten (Politiker) ersetzt. Hierzu trägt auch die Formulierung „planmässigen politischen Durchsetzung“ bei. (Ich weiß schon, daß es hier um Methodenkompetenz geht, also eigentlich keine neuen Vertreter, sondern nur neue Sprachrohre geschaffen werden, wobei der Text für mich hier etwas mißverständlich ist.)

Weg vom Text, persönliche Frage: Moderatoren haben Macht. Diese Macht wird zwar von dem moderatorischen Ehrenkodex (ein guter Moderator lenkt nicht inhaltlich sondern nur methodisch) abgelehnt, aber sie ist da. Oft geschickt eingesetzt, wenn der Chef moderiert. Da das Potential der Methode „Theater der Unterdrückten“ aus meiner Sicht größer ist, wie das der Moderation, sehe ich aber auch ein größeres Machtpotential. Ich hänge ab hier ein bischen in einem kleinen Gedankenkreis: Enthusiasmus, Professionalität, Ego, Selbstbestimmung Vielleicht kannst Du mir ja da raushelfen. cu Stephan

Judith meint:
Zu Deinem Text: Es ist sicher richtig, daß die meisten Menschen glauben, zu wenig Gewicht zu besitzen, um etwas verändern zu können.
Andererseits fand ich auch sehr plausibel, was Du damals im „Fachforum Eine Welt“ geschrieben hast: das Vertrauen der Bevölkerung in die schwerfällige Parteienpolitik schwindet, der Abbau des Sozailstaates wird immer mehr kritisiert. Je mehr sich diese Situation zuspitzt, desto mehr werden möglicherweise Menschen mit gleichen Interessen wieder zusammenfinden, um zu versuchen, ihre Wünsche mit Hilfe ihrer Gruppe zu realisieren. Hier kann das Legislative Theater, wie Du im „Fachforum Eine Welt“ geschrieben hast, die Möglichkeiten der Selbstorganisation und der Abstimmung unter den Bürgern bieten.

Karl Dietz
hat den Text in die „heinz-list“ weitergeleitet, (info-text dazu schick ich dir bei Interesse), bisher keine inhaltliche Reaktion.

Lisa Kolb, Wien:
… ich mag Deine Analyse, aber weniger die pessimistische Stimmung,die ich herauszuhören glaube. Entwicklung braucht Zeit, und das, was wir mit Legislativem Theater wollen ist sooooooo ungewohnt. Wir werden damit eine neue Kultur beginnen. Im Mai hörte ich bei einem Vortrag über das Prinzip der 7. Generation: Handle so, dass noch die 7. Generation nach Dir die gute Wirkung spürt. Das gibt doch nochmals andere Perspektiven! Oder?

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