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Refugee Protestmarch to Berlin   -Pressemitteilung (24.02.15):

Landgericht befindet Rindermarkt-Räumung für rechtswidrig

Im Juni 2013 war der Hungerstreik von Asylsuchenden am Münchner Rindermarkt von der Polizei geräumt worden. Nun hat das Landgericht München in seiner gestrigen Urteilsverkündung in einem Strafverfahren am 23.2.15 die Illegalität dieser Räumung anerkannt.

Erstens sei deren Durchführung rechtswidrig gewesen, da der Räumung keine Auflösungsankündigung per Lautsprecherdurchsage vorangegangen war und somit niemand die Möglichkeit hatte, sich freiwillig vor Beginn der Räumung zu entfernen. Zweitens sei auch die Auflösungsverfügung durch das Kreisverwaltungsreferat (KVR) rechtswidrig gewesen, sowohl formell, da die falsche Behörde aufgelöst hatte, als auch inhaltlich, da die offiziellen Gründe für die Räumung sich vor Gericht als falsch erwiesen haben.

Dennoch wurde der Angeklagte H. Hedayatzadeh, der damals die Durststreikenden unterstützt hatte, für Widerstand und versuchte Körperverletzung während der Räumung schuldiggesprochen.

Schuldig dafür, dass er sich zur Wehr setzte gegen eine illegale, überraschende und brutale Stürmung einer angemeldeten Versammlung von zum Großteil höchst geschwächten Menschen?
Dabei war der Vorwurf der versuchten Körperverletzung im Verfahren bereits von den polizeilichen Zeugen relativiert worden. Einer dieser Zeugen und folglich auch die Verteidigung bezeichneten das vermeintliche Fehlverhalten des Angeklagten als „Strampeln“.

Nicht nur sind im Laufe des Verfahrens erste Aussagen relativiert worden, auch gab es immer wieder eklatante Widersprüche zwischen den Zeugenaussagen von Polizei und KVR, insbesondere in der schwerwiegenden Frage nach dem Zeitpunkt der Auflösungsankündigung. Einige Aussagen wurden durch eine Videoaufzeichnung von der Räumung bereits zu Beginn widerlegt. Darüber hinaus wurde in diesem Verfahren auch der öffentliche Vorwand der Räumung widerlegt, dass Ärzte keinen Zutritt zu den Durststreikenden erhalten hätten und daher die Rettung von Menschenleben das Ziel gewesen sei. Dem widersprachen zwei Ärzte vor Gericht, die damals selbst ständig vor Ort gewesen waren.

Obwohl auch dieses Verfahren faktisch nur eine weitere Ebene der Repression gegen Aktivist_innen der selbstorganisierten Proteste der Asylsuchenden darstellt, so ist doch in seinem Verlauf sehr deutlich offen gelegt geworden, mit welchen Mitteln die jeweils zuständigen Behörden und politisch Verantwortlichen versuchen, notwendige Proteste zum Schweigen zu bringen: Kriminalisierung vor der Öffentlichkeit, damit niemand mehr zuhört, und schließlich Kriminalisierung vor dem Gericht, um die Betroffenen einzuschüchtern und stumm zu machen. Verleumdung und Falschaussagen sind hier offensichtlich beliebte Werkzeuge.

Im Fall von Hedayatzadeh ist der Plan nicht aufgegangen: Er thematisierte auch in der letzten Verhandlung die Punkte, um die es eigentlich gehen sollte: Lagerpflicht und Abschiebung, beispielhaft für die Unterdrückung, die die Menschen auf die Straße treibt.

„Ich weiß, dass Sie das vermutlich nicht interessiert, aber genau deshalb sitze ich hier. Genau deshalb waren 50 Non-Citizens am Rindermarkt. Sie wollten ihre menschliche Würde wiedererlangen, sie wollten aus der auferzwungenen Isolation ausbrechen. Überall dort, wo es Unterdrückung gibt, bildet sich eine Gegenkraft, die nennt sich Widerstand.“

Hedayatzadeh wird Berufung gegen das Urteil einlegen und notfalls auch bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen. In der gleichen Sache laufen zur Zeit noch Verfahren gegen zwei weitere Personen: Gegen den damaligen Versammlungsleiter sowie einen der damaligen Durststreikenden. Letzterer war von den selbsternannten Lebensrettern nach der Räumung für sieben Stunden in Polizeigewahrsam gehalten worden – ohne jegliche medizinische Versorgung.

Hedayatzadeh nach dem Urteil:schmeiss den panzer an

„In neun Verhandlungstagen sahen wir ein Vorgehen, das völlig in die Ketten der Unterdrückung passt, welche selbst erst die Menschen dazu brachte, auf die Straße zu gehen. Der Punkt ist die absurde und gleichzeitig zu erwartende Konsequenz solch einer Entscheidung: Es geht darum, Menschen davon abzuhalten, weiter Widerstand zu leisten. Die Person also, die diese Entscheidung fällt, hört und sieht niemals die Notwendigkeit des Widerstands für diejenigen, die ihn leisten. Was aber kann die Letzteren stoppen? Kein Geld, keine Waffen.“

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