Fast vergessener junger Widerstand: Wer im Äther surfte wurde zum Tode verurteilt

Der Josef steht im Rundfunkhaus,

der Arme, weiß nicht ein noch aus.
„Wie bring ich’s nur den Leuten bei,
Daß Hitlers Rechnung richtig sei?
Wie konnt er’s auch sagen – ungeniert –
er hätte alles mit einkalkuliert!“

Im Jahr einundvierzig wird alles gebrochen.
So hatte der Führer dereinst keck gesprochen.
Jetzt trägt der Soldat für den Irrtum die Leiden,
während Hitler verspricht: „Dies Jahr wird entscheiden!“
Es wird sich entscheiden, wenn alles sich „rührt“!
(Und dann hat auch Hitler sich auskalkuliert.)

Dies Gedicht textete und verbreitete zur Jahreswende 1941-42 der junge Verwaltungslehrling Helmuth Hübener zusammen mit drei Freunden in Hamburger Arbeitervierteln. Hübener wäre am 8. Januar 90 Jahre alt geworden. Doch am 27. Oktober 1942 wurde er als jüngster deutscher Widerstandskämpfer vom Volksgerichtshof der Nazis ermordet.

Anfang Februar 1942 war Hübener von einem Vorgesetzten denunziert worden, der beobachtet hatte, wie er erfolglos einen Mitlehrling dafür gewinnen
wollte, ein Flugblatt mit BBC-Meldungen zur Verbreitung an Zwangsarbeiter ins Französische zu übersetzen. Seine drei ebenfalls sehr jungen
Mitangeklagten Karl-Heinz Schnibbe, Rudolf Wobbe und Gerd Düwer erhielten Gefängnisstrafen zwischen vier und zehn Jahren.

Hübeners 90. Geburtstag sollte Anlaß sein, an eine bestimmte Gruppe des Widerstandes zu erinnern, die gemeinsam hatte, aus christlichen Familien zu
stammen und mittels Radiohörens ausländischer Sender  „Rundfunkverbrechen“ gegen den Nazismus zu begehen. In den technischen Museen Münchens und Berlins sind sie mit kleinen Ausstellungen gewürdigt worden und in Taufkirchen bei München wurde eine Walter-Klingenbeck-Schule und in Hamburg eine Helmuth-Hübener-Schule nach ihnen benannt.

Walter Klingenbeck hörte Radio Vatikan, den deutschsprachigen Dienst der BBC und andere „Feindsender“, obwohl das Abhören von Auslandssendern im September 1939 verboten und mit drakonischen Strafen bedroht wurde. lm Frühjahr und Sommer 1941 erzählte er seinen Freunden Hans Haberl und Daniel von Recklinghausen von diesen Sendungen und lud sie zum gemeinsamen Abhören ein.

Klingenbeck griff im Sommer 1941 den Appell der BBC auf, das V-Zeichen als Symbol des Sieges der Alliierten zu verbreiten, und brachte, unterstützt
durch Recklinghausen, dieses Zeichen groß mit Lackfarbe an etwa 40 Gebäuden in München an.
Er plante die Verbreitung von Flugblättern mit dem Motto „Hitler kann den Krieg nicht gewinnen, sondern nur verlängern“ und arbeitete zusammen mit seinen Freunden, die nicht nur denselben katholischen Hintergrund hatten wie er, sondern auch seine Radiobastelleidenschaft teilten, am Bau eines eigenen Senders zur Ausstrahlung antinazistischer Propaganda.

Am 26. Januar 1942 wurde Klingenbeck, nachdem er sich leichtsinniger Weise mit der V-Aktion gebrüstet hatte, denunziert und verhaftet, kurz darauf auch Habers und von Recklinghausen. Der Volksgerichtshof verurteilte die drei am 24. September 1942 zum Tode, einen vierten, am Rande beteiligten Jugendlichen zu acht Jahren Zuchthaus. Während Haberl und von Recklinghausen am 2. August 1943 zu acht Jahren Zuchthaus begnadigt wurden, wurde der 19jährige Klingenbeck am 5. August 1943 in München-Stadelheim hingerichtet.

Der Wiener Gymnasiast Josef Landgraf hörte seit Kriegsbeginn Sendungen der BBC, aber auch den von sozialistischen Emigranten geprägten Sender der Europäischen Revolution. Anfang September 1941 begann er, das Gehörte zu Flugblättern zu verarbeiten.
Obwohl er bereits nach drei Wochen denunziert und festgenommen wurde, produzierte er auf der Schreibmaschine seines Vaters nicht weniger als 70 Flugschriften von einer halben bis zu einer Seite Umfang sowie etwa dieselbe Anzahl von Flug- und Klebezetteln.

Ähnlich wie Hübener hielt er der deutschen Kriegspropaganda die BBC-Meldungen über deutsche Verluste entgegen und verurteilte die antireligiösen Aktivitäten der NSDAP. Wie Klingenbeck nahm auch Landgraf die V-Aktion auf und proklamierte in einem seiner Flugblätter: „Die V-Armee hat lediglich die Befreiung von Hitler und seinem Krieg zum Ziel.“

Bei der Herstellung und Verbreitung der Flugblätter halfen Landgraf in allerdings eher geringem Ausmaß seine Schulkameraden Ludwig lgalffy, Friedrich Fexer und Anton Brunner. Landgraf und Brunner wurden am 23. August 1942 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, die anderen beiden Angeklagten zu acht bzw. sechs Jahren Gefängnis. Landgraf wurde ein Jahr später zu sieben Jahren Gefängnis begnadigt, Brunner erhielt in der Wiederaufnahme seines Verfahrens fünf Jahre Gefängnis.

Von den drei jugendlichen Gruppen von Feindsenderhörern ist nur die von Helmuth Hübener in einem geringen Umfang bekannt geworden. Günter Grass hat Helmuth Hübener ein literarisches Denkmal gesetzt. Grass schrieb über ihn in seinem 68er Roman „Örtlich betäubt“.

Grass und Hübener waren fast gleichaltrig. Die Gleichaltrigen von damals handelten sehr unterschiedlich:
Rudolf Augstein (1923-2002) wurde noch im Krieg Journalist und umgab sich später in der „Spiegel“-Redaktion mit den Leuten des SS-Reichssicherheitshauptamtes, die dort Naziverbrechen, z.B. den Reichstagsbrand leugneten oder in Taten der Linken umfälschten.


Helmut Kohl (geb.1930) wusste von nichts und tat nichts und lehnte sich angesichts der „Gnade der späten Geburt“ zurück, später rehabilitierte er die SS mit seinem Gang zum Friedhof Bitburg.

Franz-Josef Strauß (1915-1988) baute mit Hilfe der Waffen-SS und der Wehrmachtsgeneräle die Bundeswehr auf. Günter Grass (geb. 1927) meldete sich freiwillig zur Wehrmacht – was er nie verschwieg, was aber niemand ihm vorwarf! – und wurde dort zur Waffen-SS weitergereicht, wie Tausende auch. Letzteres verschwieg er leider lange.

Aber Grass hat wenigstens auf jene Gleichaltrigen aufmerksam gemacht, der handelte: So auf Helmuth Hübener! Am leichtesten machte es sich Helmut Schmidt (geb. 1918): Man war nun mal „der lebensgefährlichen konkreten Naziherrschaft ausgeliefert“.  Ulrich Sander

Weitere Literatur:
-Jürgen Zarusky, „… nur eine Wachstumskrankheit“? Jugendwiderstand in Hamburg und München, in: Dachauer Hefte,7 (1991)
-Widerstand und Verfolgung in Wien, Bd.  2, Wien 1975
-lm lntemet: www.vvn-bda.de/nrw/hueb von Ulrich Sander: „Helmut Hübener für Wahrheit und Gerechtigkeit“

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