FM 2 / Freitagsmail: Stimmen des Friedens aus Nahost

Freitagsmail (FM) will keine Analyse der komplexen politischen
Situation geben, sondern „nur“ Stimmen des Friedens laut werden
lassen, inmitten von Krieg und Kriegsgeschrei. FM möchte der
prophetischen Vision Ausdruck geben, dass Frieden ausgehen wird von
Jerusalem und die Völker den Krieg nicht mehr lernen. Schon bevor die
Völker kommen, nach Gottes Wegen zu fragen, ist das Volk Gottes
gerufen, schon heute den Weg Gottes zu gehen und Schwerter zu
Pflugscharen zu machen. Jesaja 2, 2-5; Micha 4, 1-5.

Zwei Stimmen heute, eine aus Israel, eine aus Libanon. Der Haupttext
dieses FM kommt aus Ibillin in Nordgaliläa. Es ist der neueste
Rundbrief der Mar Elias Education Institutes (Prophet Elias
Bildungseinrichtungen). Das sind Schulen, ein College und eine
christliche Uni, die Studenten aller Religionen und Volkszugehörigkeit
offen stehen. Aufgebaut unter vielen Widrigkeiten in den letzten
Jahrzehnten von Elias Chacour, Priester der einheimischen Melkitischen
Kirche. Bei unserer Palästinareise 2004 konnten wir Elias Chacour und
seine Schule kennenlernen. Jeder Schüler erhält auch eine
Grundausbildung im Umgang mit Konflikten. Wir waren beeindruckt vom
Engagement dieses israelischen palästinensischen Christen für Frieden
und Gerechtigkeit. Kürzlich wurde Elias Chacour überraschend zum
Erzbischof seiner Kirche, die auch viele Glieder in Libanon hat,
gewählt. Er schreibt dazu:

Ich bin nicht Sayedna, der Fürstbischof, sondern Abuna, der
Dienerbischof. An der Rückseite meines Bischofsstuhls in der Kirche
ließ ich Christus den König, den Allmächtigen durch Christus den
Füßewaschenden ersetzen. Meine Jünger sind die Priester und
Gemeinde-glieder überall in der Diözese. Meine erste Rede während
meiner Weihe in der Kirche zur Bergpredigt in Ibillin und in der
Kathedrale in Haifa hielt ich für meine Gemeindeglieder, für die
Menschen, die ich liebe und um die ich mich kümmere. Ich hielt sie auf
Arabisch für die Christen und die Muslime in Israel und im Ausland,
ich hielt sie auf Hebräisch für das Jüdische Volk in Israel und in
Englisch und Französisch für die übrigen Gäste und Freunde. Es war das
erste Mal, dass ein Erzbischof wärend seiner Weihe eine Rede an das
Jüdische Volk als seine in Gott geliebten Schwestern und Brüder
richtete.

… Ein Erzbischof hat die Aufgabe, die Gewissen der Menschen
wachzurütteln, die im Winterschlaf vor sich hindösen, damit sie
beginnen, vorwärts zu schauen und sich für Frieden und Gerechtigkeit
einsetzen. Auch sollen sie sich für Menschenrechte für alle einsetzen,
ganz egal, welcher Abstammung, Rasse oder Kultur jemand angehört.
Meine Aufgabe hier im Heiligen Land ist es, jeden und jede daran zu
erinnern, dass wir alle als Frauen und Männer von Gott als sein Abbild
geschaffen wurden. … Dies ist nicht, was man auf der Straße hört.
Dies ist auch nicht die Sprache eines Parteiprogramms. Nein, dies ist
vielmehr SEINE Sprache, der uns lehrt, die Feinde zu lieben und die zu
segnen, die uns verfluchen. Wir sollen geben, ohne zu empfangen.

Hier nun der Rundbrief aus Ibillin zum jetzigen Krieg:
————————————————————–

Mar Elias Educational Institutions
PO Box 102, Ibillin 30012, Galilee, Israel · Ph: +972 (0)4 8432105
Fax: 106 · office@m-e-c.org

Sommer, Juli 2006
Meine lieben Freunde und Freundinnen,

normalerweise schreiben wir Rundbriefe über Hoffnung und Fortschritte,
aber diesmal sind die Umstände total anders. Wir glaubten, dass
Galiläa einer der sichersten Plätze im Nahen Osten ist. In der
Vergangenheit war das auch so. Doch in den letzten 10 Tage haben wir
erlebt, dass wir gerade so überleben. Das ist pures Glück: Niemand ist
mehr sicher vor den Raketen und Bomben, die täglich auf Haifa,
Nazareth, Akko, Nahariyah, ja beinahe alle Städte und Dörfer des
Nordens niedergehen. Die Raketen fallen rücksichtslos auf jeden, der
ihnen zufällig im Weg steht. Genau wie auf der anderen Seite im
Libanon ist hier niemand mehr sicher.

Wir befinden uns inmitten von Waffengewalt und Hass von beiden Seiten:
Die Belagerung und der Widerstand. Beide sprechen die Sprache des
Hasses, der Revanche und der Drohgebärden. Sie sprechen von der
totalen Vernichtung des Feindes. Als Ergebnis haben wir nun die totale
Zerstörung der Infrastruktur im Libanon. Tausende Menschen wurden auf
diesem absurden Pfad geopfert. Auf der anderen Seite ist die Situation
genauso absurd, wenn auch mit weniger Zerstörung innerhalb Israels und
einer Schwächung des ganzen Landes. Dazu kommt noch ein Freibrief,
alles in Gaza und in der West Bank zu zerstören. Es wurden bereits
Millionen Dollar auf dem Altar des Krieges, des Stolzes und der
Arroganz geopfert. Alle Seiten sind verärgert und verbittert. Jeder
stellt eigene Ansprüche, jeder wiederholt in einer modernen Version
das erste Verbrechen von dem die Bibel spricht: Einer war sauer, er
rief den Bruder aus dem Haus und brachte ihn um im Glauben, dass dies
seinen Zorn beilegen würde. Doch dann wurde die Erde mit dem Blut
Abels getränkt und sie schrie zu Gott nach Rache und Vergeltung. Gott
fragte: „Wo ist dein Bruder? Was hast du mit deinem Bruder gemacht?“
Die immer gleiche Antwort lautet: Verleugnung der Verantwortung und
gleichzeitig eine Rechtfertigung des Gewaltverbrechens. Heute haben
wir die gleiche Situation. In ihrem Zorn fürchten die Politiker einen
Ansehensverlust und mobilisieren ihre Armeen und Zerstörungsmaschinen
– diesmal auch in Galiläa. Niemand findet Schutz; Die erste Rakete
schlug etwa 200 Meter neben meinem Wagen ein, als ich nach Haifa
unterwegs war.

Heute haben wir traurige Nachrichten, viele fanden den Tod, vieles
wurde zerstört, viele Hoffnungen wurden zunichte gemacht. Wiedereinmal
ist es die arabische Bevölkerung in Galiläa, und ganz besonders die
Christen unter ihnen an der Grenze zum Libanon, deren Arbeitsplätze
verschwinden, die kein Auskommen haben und kein Dach mehr überm Kopf,
nicht so wie die benachbarten jüdischen Siedlungen. Viele unserer
Gemeindemitglieder sind direkt betroffen. Es sind insbesondere
folgende Ortschaften: Jish, Rama, Eilaboun, Fasuta, Miilya und
Tarscheeba. Daneben wurde auch das Zentrum von Nazareth und Haifa und
nicht zu vergessen Ibillin getroffen. Gott sei Dank sind die Kinder
alle zuhause in den Sommerferien.

Der Grund für dieses Übel ist der Konflikt zwischen der libanesischen
Widerstandsorganisation Hisbollah und der israelischen Regierung. Als
sich Israel aus dem südlichen Libanon zurückzog, hat es ein Stück Land
behalten und so getan, als ob es ein Stück Syrisches Territorium
belagere, doch nach syrischer wie libanesischer Sichtweise gehört
dieses Land zum Libanon. Ein weiterer Grund sind die unzähligen
libanesischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen. Da gibt es
keinen Weg, sie zu befreien. Die Hisbollah entführte nun drei
israelische Soldaten in der Hoffnung durch Verhandlungen Gefangene
auszutauschen. Aber der Stolz Israels einerseits und das Vorurteil,
bei der Hisbollah handele es sich ausschließlich um eine
Terrororganisation, machte die Regierung blind für Verhandlungen.
Manche sagen, es hätte einen vorgesteckten Plan gegeben und man war
nur auf der Suche nach eine passenden Gelegenheit, in den Libanon
einzumarschieren und die Hisbollah zu zerstören. Es scheint, als ob
die Israelis schlecht informiert gewesen seien und die Hisbollah
stärker ist als erwartet. Außerdem genießt sie viel Sympathie in
weiten Teilen der libanes-schen Bevölkerung und unter arabischen
Muslimen, die als Guerillia-Kämpfer ausgebildet wurden. Und es scheint
so, dass der Staat Israel seit seiner Gründung verfolgt wird. Anstatt
zu verhandeln, haben sie alle Waffen benutzt, die sie vom Ausland
bekommen haben, um den Libanon zu vernichten. Das Ergebnis ist anders
als erwartet: die libanesische Bevölke-rung steht hinter dem
Widerstand und die Zerstörung Beiruts bringt noch mehr Gewalt hervor.
Wäre es nicht besser gewesen, anstatt unreflektiert zu reagieren, eine
Zeit zu warten, über die Freilassung der Israelis zu verhandeln und
die Bevölkerung auf beiden Seiten von all dem Unglück und
flächendeckender Zerstörung zu verschonen? Die Menschen haben
unbeschreibliche Angst und große ökonomische Schäden.

Wir haben als Christen allen Grund dazu, unsere Stimme lautstark zu
erheben und für Mäßigung einzutreten. Beide seiten müssen die Waffen
niederlegen und verhandeln. Wir spüren, dass wir den uralten
Standpunkt – Auge um Auge – Zahn um Zahn – endlich hinter uns lassen
müssen. Tatsächlich hat niemand mehr Zähne oder Augen, die er opfern
könnte, alle Zähne sind wir bereits los geworden. Und wir sind
erblindet und nun auch noch taub von dem Lärm der Raketeneinschläge
beiderseits. Niemand hört mehr das Flüstern der Kinder, die
verängstigt und in Todesangst sind, bevor sie niedergemetzelt werden!

Wir haben keine Angst um unser Leben, weil das Leben früher oder
später ohnehin endet. Vielmehr haben wir Angst um unsere Kinder und
Enkelkinder, die Leben möchten, seien sie Juden, Palästinenser oder
Libanesen. Werden sie jemals die Logik der Waffen überwinden und auf
Gottes Gebote achten? Oder werden sie, Gott behüte, sich das römische
Sprichwort zu eigen machen: „Der Mensch ist dem Menschen Wolf.“ Das
ist es nicht, was Christus uns vorlebte und was er seinen Jüngern
lehrte. Daran hat er nicht geglaubt und das ist weit von dem entfernt,
wozu er uns einlud: „Liebe deine Feinde, segne, die dich verfluchen
und vergelte nicht Unrecht mit Unrecht sondern Unrecht mit Gutem.“

Vielen Dank für euer Mitgefühl, eure Gebete und eure finanzielle
Unterstützung, um betroffenen Familien zu helfen. Eure Freundschaft
macht in unserem Leben einen Unterschied. Ihr schenkt uns die
Hoffnung, dass doch noch so viel Gutes im Menschen steckt. Bitte
bleibt in Kontakt und seid euch gewiss, dass wir in eurem Namen
Gerechtigkeit, Frieden und Sicherheit auf allen Seiten hier im Nahen
Osten bauen.

Seid gewiss, dass die Bomben irgendwann aufhören, doch die Kämpfer
bleiben verkrüppelt. Die Kinder sollen wieder auf den Straßen unserer
Dörfer spielen können; sie sollen zur Schule gehen und lernen, dass
wir gemeinsam – und wirklich nur gemeinsam – stärker als der Sturm
sein werden.

Voller Tränen und Hoffnung grüße ich euch

Abuna Elias Chacour, Erzbischof von Akko, Haifa, Nazaretz und Galiläa
Direktor der Mar Elias Educational Institutions

Spenden können über unser Konto weitergeleitet werden. Stichwort: Ibillin.

„Zitat der Woche“ auf der Webseite der christlichen Zeitschrift „Sojourners“:
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Siebenhunderttausend Menschen aus der libanesischen Gesamtbevölkerung
von 3,5 Millionen sind aus ihren Heimatorten geflohen. Diese 20% der
Bevölkerung, hauptsächlich Schiiten wurden aufgenommen von zumeist
christlichen Schulen, Kirchen und humanitären Organisationen. Die
Geschichte des barmherzigen Samariters im Großformat. Unglaublich
daran ist vor allem, dass dies das Ergebnis einer Strategie ist, die
Anti-Hisbollah-Gefühle bei der libanesischen Bevölkerung und Regierung
wecken wollte. Nicht sehr erfolgreich diese Strategie. Ähnliches ist
schon so oft geschehen, dass jeder nachdenkliche Stratege die Lektion
inzwischen gelernt haben sollte. Die militärischen Muskeln sind jedoch
zu hedonistisch und narzistisch, um auf die Stimme der Vernunft und
der Geschichte zu hören.

Dr. Martin Accad, Dekan des Arab Baptist Theological Seminary of Lebanon.

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DMFK, Hauptstr. 1, D-69245 Bammental, Tel 06223-5140
dmfk.menno.peace@t-online.de, www.dmfk.de

Spendenkonto, Kreissparkasse Heilbronn, BLZ 620 500 00, Konto: 212 400 69

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