Begonnen hatten die InitiatorInnen 1995 mit der Gruendung der Bau- und
Wohngenossenschaft KraftWerk1. Im Statut steht: „Die Genossenschaft
bezweckt in gemeinsamer Selbsthilfe, ihren Mitgliedern preisguenstigen
Raum fuer Wohnen, Arbeiten und oeffentliche Nutzungen zu verschaffen. ..
Diese Strukturen sollen selbstverwaltete, sichere und oekologische
Lebensformen ermoeglichen.“ Ein ehemaliges stadtnahes Industrieareal von
6,7 ha in Zuerich West wurde von den Mitgliedern angekauft, bebaut und
im Sommer 2001 bezogen. Heute gibt es dort 80 Wohnungen, einige
Gemeinschaftsraeume, auf 2.500 qm Buero- und Gewerbeflaechen, ein
Restaurant und Parkplaetze. Die Mieten liegen etwa 20% unter den in
Zuerich marktueblichen Mieten. Zusaetzlich wird von den BewohnerInnen
monatlich ein einkommensabhaengiges sogenanntes „Spiritgeld“ erhoben.
Die Haelfte dient der Verbilligung vonMieten, mit der andern Haelfte
wird in gemeinsam geplante soziale, kulturelle oder oekologische
Initiativen der BewohnerInnen investiert.

Die Organisation von KraftWerk1 beruht auf zwei Saeulen: Der Vorstand
der Genossenschaft ist verantwortlich fuer Unterhalt und Betrieb der
Siedlung, fuer weitere Bauprojekte und fuer die Einhaltung der fuer alle verbindlichen
„Charta“, (nachzulesen unter http://www.kraftwerk1.ch oder http://www.stiftung-fraueninitiative.de/Dokumentation workshop2002.) Die zweite
Saeule ist die im Statut verankerte Selbstverwaltung der Mitglieder. Es
haben sich Arbeitsgruppen fuer verschiedene Bereiche gebildet, die
Projektideen der BewohnerInnen umzusetzen versuchen. Eine Koordination
der Vorschlaege findet im KraftWerk1-Rat statt. Einmal im Jahr gibt es
an einem Wochenende die Mitgliedervollversammlung.

Selbstversorgung im KraftWerk1

Es wohnten 2003 193 Erwachsene und 45 Kinder/Jugendliche bis 16 Jahren
in der Wohnsiedlung. 36% sind auslaendische BewohnerInnen. 90 Personen
haben Arbeitsraeume angemietet. Selbstversorgung, meinen Bettina Bueser
und Kathrin Luessi, ist dann ein (zu) grosser Begriff, wenn damit die
Produktion materieller Gueter gemeint ist. Neben der Solarstromanlage
koennte dann allenfalls noch das siedlungseigene Intranet und die
Bereitstellung mehrerer Gemeinschaftsraeume genannt werden.
Selbstversorgung ist eher feiner gestrickt, sagen sie und zaehlen
Beispiele auf: der Hilfefond, die Infrastruktur mit Begegnungsstaetten,
Kinderbetreuungseinrichtungen, Arbeitsgruppen, gemeinsame Aktionen
(Flohmaerkte, Entsorgungsaktionen, Spieleabende, Veranstaltungen,
Hausblatt, Quartierarbeit).

Selbstorganisation ist gar nicht so einfach

Die Autorinnen schreiben: „Nun leben wir seit vier Jahren im KW1, und
die Beobachtung „von der Bewegung zum Stillstand“ ist zwar hoechst
subjektiv und trifft bei
genauerem Hinsehen auch nicht wirklich zu, entspricht jedoch einer
Empfindung, die viele der ErstbezuegerInnen haben. Wir sind ins Paradies
eingezogen und sind nun konfrontiert mit Dingen, die im Paradies nicht
vorkommen:

* Das Engagement nimmt insgesamt ab, mehrere Arbeitsgruppen beklagen
Mitgliederschwund oder gehen ein. Bei einigen Leuten ist gar ein
burn-out bemerkbar;
* Gemeinschaftsraeume werden schlechter genutzt, ihr Unterhalt und
Betrieb wird zum Problem;
* Es sind immer etwa dieselben Leute, die sich engagieren, die Gewinnung
neuer BewohnerInnen fuer das Engagement im Projekt, bzw. die Mitarbeit
gestaltet
sich harzig;
* Enttaeuschung ueber die Realitaet nach der Utopie fuehrt bei einigen
„PionierInnen“ zu Abwendung vom Projekt;
* Diebstahl auch von Gemeinschaftsguetern kommt vor;
* die Diskussionen um Sauberkeit und Putzen reissen nicht ab.

Alle obgenannten Beobachtungen werden an Vollversammlungen oder Treffen
der Arbeitsgruppen wiederkehrend thematisiert. Verschiedene
Loesungsansaetze werden derzeit diskutiert oder befinden sich bereits in
Umsetzung:

Professionalisierung /Auslagerung

Schaffung einer bezahlen Stelle fuer interne Kommunikation: Seit
Fruehjahr 2005 arbeitet eine Gruppe an einem Pflichtenheft fuer eine
professionelle, bezahlte
Kommunikationsstelle.

Schaffung von Anreizen, Bewusstwerdung kommunikativer Prozesse

Anfang Dezember wurde mit einer Fachkraft ein Workshop
Soziometrie/Psychodrama durchgefuehrt mit dem Ziel, kommunikative
Prozesse und Strukturen innerhalb des Projekts deutlich zu machen.
Organisation punktueller niederschwelliger Events, die fuer
neueingezogene oder bisher wenig aktive Leute interessant sind.

Reduktion der Komplexitaet, bzw. des Aufwandes fuer die Selbstorganisation

Aufhebung der BewohnerInnenorganisation, Schaffung einer
verantwortlichen Stelle im Genossenschaftsvorstand.


Zukunftsplan KraftWerk2

KraftWerk1 hat verschiedene Wurzeln. Eine der zentralen Anregungen ging
von P.M.s 1983 erschienener Utopie bolo’bolo aus. In seinem Werk ging
P.M. davon
aus, dass die Deindustrialisierung auf der Nordhemisphaere einen
Rostguertel aus verlassenen Industriebrachen hinterlassen hat. Dieses
vielfaeltige Erbe kann
wieder urbanisiert werden, diese Raeume koennen fuer neue alternative
Lebensformen in Besitz genommen werden – als Basis fuer eine
Zivilisation jenseits der
Arbeitsgesellschaft, jenseits der beiden Bloecke Kapitalismus und
Sozialismus.

KraftWerk1 kann zwar kaum in Anspruch nehmen, eine Alternative zu
Kapitalismus und Sozialismus geschaffen zu haben. (Es kann ja auch nur
darum gehen, sich in kleinen Schritten andere und gewuenschte
Lebensformen zu schaffen. C.Moe.) Der Entstehungsprozess von KraftWerk1
war durch eine Vielzahl intensiver Diskussionen und Debatten gepraegt.
Sie waren eines der Hauptinstrumente, um das Projekt weiterzuentwickeln.
Das Projekt KraftWerk2 soll auf aehnliche Art entwickelt werden. Im
Fruehjahr 2005 ist der Prozess fuer die Entwicklung eines neuen Bau- und
Wohnprojekts angelaufen.

Einig sind sich die Beteiligten darueber, dass auch KraftWerk2
Modellcharakter haben und Loesungen fuer aktuelle Probleme bieten soll.
P.M. hat hierzu die These
aufgestellt, dass die zukuenftigen Herausforderungen in
Gemeinschaftssiedlungen nicht im Bereich des Wohnens, sondern des
Arbeitens liegen. Der drohenden
Spaltung zwischen hochqualifizierten, gut verdienenden Arbeitskraeften,
welche spannende Jobs auf Weltniveau innehaben und unterqualifizierten,
schlecht bezahlten
Arbeitskraeften, die sich den „Hausjobs“ widmen (Hausarbeit,
Landwirtschaft, Gesundheit, Erziehung, Reparatur, Infrastruktur, Verkehr
etc), setzt er ein Rotationsprinzip entgegen. Das heisst,
teilzeitartig, nach Jahreszeiten oder Lebensabschnitten wechseln
Menschen zwischen „Weltjobs“ und „Hausjobs“. Voraussetzung hierzu waere
ein umfassendes demokratisches Bildungssystem. Nach P.M.s Berechnung
boete eine Siedlung von mindestens 500 BewohnerInnen die
Moeglichkeit, mindestens zwei volle Stellen im Bereich „haushaltnaher
Dienstleistungen“ zu schaffen, die von bis zu acht Personen geteilt
werden koennten. Die
Palette reicht dabei vom Betrieb eines Konsumdepots und Textilsalons
ueber Staetten fuer die Kinderbetreuung bis hin zu mehreren
Gaestezimmern und einer Mediathek.

Wie auch immer KraftWerk2 aussehen wird – die zahlreichen Ideen der
Beteiligten versprechen ein interessantes Projekt – eine der
Herausforderungen wird
wie bereits bei der Entwicklung von KraftWerk1 darin bestehen, auch
Gruppen von Interessierten zu hoeren, die aufgrund ihrer Lebenssituation
nicht soviel Zeit fuer
eine Beteiligung an der Projektentwicklung aufbringen koennen, wie gut
vernetzte Singles zwischen 20 und 35 Jahren.“

ANMERKUNGEN

Die Textteile sind dem Bericht von Bettina Buesser und Kathrin Luessi
fuer die Dokumentation des 2. Internationalen Workshops in Koeln vom
21.-23.10.05 entnommen. Die Dokumentation wird im Fruehjahr erscheinen.
Sie wird unter www.stiftung-fraueninitiative.de angekuendigt. Weitere
Informationen zu KraftWerk 1+2 finden sich unter www.kraftwerk1.ch. Fuer
Textauswahl und Ueberleitungen ist Carola Moeller verantwortlich.

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fuer Selbstorganisation. CONTRASTE dient den Bewegungen als
monatliches Sprachrohr und Diskussionsforum.

Entgegen dem herrschenden Zeitgeist, der sich in allen
Lebensbereichen breitmacht, wird hier regelmaessig aus dem
Land der gelebten Utopien berichtet: ueber Arbeiten ohne
ChefIn fuer ein selbstbestimmtes Leben, alternatives
Wirtschaften gegen Ausbeutung von Menschen und Natur,
Neugruendungen von Projekten, Kultur von „unten“ und viele
andere selbstorganisierte und selbstverwaltete
Zusammenhaenge.

Desweiteren gibt es einen Projekte- und Stellenmarkt,
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