Den im Titel aufgestellten wichtigen Fragestellungen geht R. Schüssler nach. Mit einer genauen Beschreibung darüber, dass es ein Menschenrecht auf Bildung gibt (UN-Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – den WKS-Menschenrechtsdiskurs – gibt sie die Richtung vor.
Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Fragestellung: Stellt der Bildungsreformansatz „Schulentwicklung“ ein geeignetes Konzept von Armut und chancengleichheit dar?
Bei uns ist das Thema „Schulentwicklung“ eng mit der Bertelsmann Stiftung verbunden, die aus dem Gut/ Recht auf Bildung ja immer mehr ein vermarktbares Gut machen will und, wo in diesem Bereich 4-stellige Milliardengewinnen „drin sind“.
Zurück zur Arbeit:
Wer sich über wichtige Fragen zum Menschenrecht auf Bildung informieren will, bekommt hier wichtige Grundinformationen (Beschlüsse auf Internationelen Konferenzen, Millenniumsziele , den völkerrechtlich bindenden Internationalen Pakt –Sozialpakt). Damit, so die Autorin, ist natürlich noch nicht die Umsetzung in Sicht.
Einprägsam (S. 39) das Zitat der Menschenrechtsorganisation CENDIH (Nicaragua):
Derecho que no se defiende es derecho que se pierde. Das Recht, das nicht verteidigt wird, geht verloren.
Auf Peru bezogen wird aufgezeigt, dass der peruanische Staat sehr wohl das Menschenrecht auf Bildung festgeschrieben hat (S. 54 ff.)

Im Kapitel 2 geht es um grundlegende Fragen des Konzepts „Schulentwicklung/Schulautonomie“. Das ist auch für diejenigen, die sich damit bei uns mit dieser Frage beschäftigen, von Interesse. Aspekte sind: Systemische Schulentwicklung, Organisation-, Personal- und Unterrichtsentwicklung, lernende Organisation Schule.
„Ich und meine Klasse“ anstatt: „Wir und unsere Schule“ gilt aktuell und wird von der Autorin kritisiert.
Ab S. 103 geht es um Aspekte der Schulentwicklung in Ländern des globalen Südens (Lateinamerika), um die Politik wichtiger Geberorganisationen wie die Weltbank.
Im 3. Kapitel geht es um die Bildungssituation in Peru und darin eingebundene Aspekte der Schulentwicklung. Die Bildungssituation in Peru wird, was nicht verwundert, als prekär und besorgniserregend (für die Mehrheit der Bevölkerung) dargestellt. Aufschlussreich, dass es 1995 ein Programm zur Verbesserung der Qualität der peruanischen Bildung MECEP von der Intern. Bank für Wiederaufbau und Entwicklung gab, das die „Interessen der SchülerInnen in den Mittelpunkt des Lernprozesses rücken sollte“. (ob davon ein Kind in Peru etwas gemerkt hat, H.Sch.) – Und: Das Programm roch stark nach ähnlichen Modellprojekten der Weltbank in Panama, Kolumbien oder Chile.
Kenntnisreich werden dann unterschiedliche Ansätze zu Schulreformen beschrieben (ministerielle Vorgaben, Wettbewerbe, Angebote von NRG`s wie dem Foro Educativo) und anhand von ausgesuchten Modellschulen (September-November 2000 unersucht) und mittels „narrativen Schulproträts) beschrieben. Erinnernswert, dass diese Modellversuche in der Diktaturzeit von Ex-Präsidenten und jetzt wegen Menschenrechtsverletzungen vor Gericht stehenden Fujimori stattfanden.
( Interessant wäre eine Untersuchung der LehrerInnen-Ausbildung am Instituto Paulo Freire in Lima gewesen und eine Begutachtung, ob die hier ausgebildeten LehrerInnen (die ja zumeist aus den Armenvierteln Limas stammen) andere Akzente in der Schulentwicklung eingebracht haben.)
Die Schulentwicklung ist, so Ergebnisse der Autorin, fragil, meist von „oben“ oder von „außen“ stimuliert und verästelt sich in immer mehr Bereiche. Das ist an der Anzahl der Zuständigkeiten, von Bildungsminsterium, Region bis zur lokalen Ebene zu sehen, es werden Kampagnen zur „Drittmittelbeschaffung“ dabei sehr wichtig, u.a. Kampagne „Bleistift und Papier spenden“.
Die „Kosten“ der Schulpolitik Perus müssen, weil kein wirklich gutes Regierungsinteresse daran besteht, wieder und wieder die LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen tragen.
Das zeigt sich an einer Zahl deutlich: Während die Familien des wohlhabendsten Fünftels im Jahr 2000 ca. 3,4% ihres Monatseinkommens für Bildungsleistungen für ihre Kinder verwendeten, wurden im ärmsten Fünftel 5,2% aufgewendet (S. 234). Die mit solchen Konzepten vorgesehene Durchsetzung der Chancengleichheit findet also nicht statt.
Die Schulbildung in Peru ist kostenfrei, so steht es in der Verfassung. Aber, die Familien tragen heute über 1/3 der Pro-Kopf-Ausgaben pro SchülerIn (S. 299). Schulgebühren erhalten jetzt, wo eine entsprechende Schulreform stattfand, sich dazu gebildete Elternvereinigungen, die sich nun den ärger über die hohen Kosten einhandeln. Jetzt ist es nicht mehr „der Staat“, der Geld fordert, sondern es sind die „Eltern“. Immer mehr müssen die Eltern auch für Sachmittel und Infrastrukturkosten „ihrer“ Schule aufkommen, was eine besonders perfide Form von „Quasi-Privatisierung“ darstellt.
So sind die Schlussfolgerungen dieser Untersuchung absehbar: Schulentwicklung unter neo-liberalen Vorzeichen befördern nicht die Verbesserung der Bildungsqualität für Alle, sind gegen die Einhaltung der Menschenwürde, Chancengleichheit, Aufhebung von Diskriminierung und interkulturelle Erziehung gerichtet.

Schön wäre es, wenn Teile dieser Arbeit in spanischer „Rückübersetzung“ den mit diesen Fragen beschäftigen engagierten Menschen in Peru von der Autorin zur Verfügung gestellt würden.
Mir persönlich wäre eine stärkere Auseinander mit Grundfragen, was Bildung sein sollte (Stichwort- Pädagogik Paulo Freires, der zwar kurz erwähnt wird, aber nicht ausführlicher dargestellt wird), im Sinne: „Bildung ist eine spezifische menschliche Erfahrung des Eingreifens in das Weltgeschehen… Ein Eingreifen, das über das Wissen der Inhalte hinausgeht… impliziert sowohl das Streben nach Reproduktion einer vorherrschenden Ideologie als auch deren Demaskierung… jedes Mal aber, wenn es die Konjunktur erfordert, wird das vorherrschende Erziehungsverständnis auf seine Art… „halb“ fortschrittlich. Die vorherrschenden Kräfte stimulieren und materialisieren umfangreiche technische Fortschritte, die als neutral aufgefaßt und umgesetzt werden sollen“. (Freire: Pädagogik der Autonomie, Waxmann-Verlag, 2007 S. 91 f).
In diesem Sinne kann die so stattfindende Schulentwicklung auch als Beispiel dafür genommen werden, dass es weiter einer „Bürokratisierung des Denkens“ dienen soll.

Eine letzte Anmerkung für Gruppen, die Schulprojekte auch in Peru unterstützen:
Ich spreche mich nicht für eine Einstellung dieser Unterstützung aus. Aber: Es muss, im Rahmen des Möglichen deutlich gemacht werden, dass diese Hilfe notwendig ist, weil der peruanische Staat seine verfassungsmäßigen pflichten im Bereich der Schulbildung nicht nachkommt. Ein wichtiger Teil der Hilfe für eine bessere Schulbildung der Kinder in Peru ist auch, gegen diese Verletzung des Menschenrechts auf Bildung zu protestieren. Dies soll natürlich auch für „Bildungs-Unterstützungsprojekte“ des BMZ und der GTZ gelten, um auf grundlegende Veränderungen hin zu arbeiten.
Heinz Schulze
Vorstand ISP

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