Gelegenheit bot mir eine israelische Gedenkstätte bei Archivarbeiten im Staatsarchiv München, in der Durchsicht vieler zeitgeschichtlicher Akten, vor allem auch des Volksgerichtshofs, die noch einige Jahre „mit Rücksicht auf die Betroffenen“ für die Öffentlichkeit gesperrt sein werden.

Abschied meint nun nicht vergessen, sondern einen Abschnitt abschliessen:
Nach der intensiven Annäherung und dem regelmässigen eintauchen in die Akten und Umstände der Zeit ist es auch wieder notwendig, den Abstand zu sehen und die Veränderungen der folgenden Jahrzehnte, die jenes schreckliche Jahrzehnt der Bevormundung und Vernichtung zum Teil noch einmal variierten, zum Teil versuchten, wiedergutzumachen, und vor allem in Scham darüber schweigen wollten.

Das Thema Scham tauchte auch in meiner persönlichen Geschichte immer wieder auf, am meisten in den damals (und oft noch heute) üblichen Beschämungen in der Schule: „Ausgerechnet von dir hätten wir das nicht erwartet …“

Ausgerechnet die ordentlichen HJ-Jugendlichen waren später nicht nur zu Autobahnbau und Moortrockenlegung, sondern auch zu gehorsamer Kriegsführung und Judenvernichtung fähig.

Ihre Wege dazu, vor allem die Übergriffe und das Vorpreschen der Eifrigsten, sind in vielen Prozessakten festgehalten, die eine Zeit lang durchaus zur Anzeige kamen und – da es bei der Schutzhaft keine Einspruchsmöglichkeit gab – in zahlreichen Gnadengesuchen an den Reichsstatthalter geschreiben wurden.

Auch die ganz natürliche Reaktion mancher Volksgenossen, zB. eines Reichsbahn-Mitarbeiters, der im Kollegenkreis am Stammtisch meinte „-das Fenstereinschlagen der Judengeschäfte halte er nicht für richtig-“ … „wurde in der Woche vor Weihnachten verhaftet und in der Gestapo München, Briennerstr. 50 eingeliefert. Er befindet sich seit voriger Woche in Dachau. …[Er] ist nun fristlos entlassen worden und wurde ihm überdies die Wohnung gekündigt. – Die Frau ist dadurch in eine wirtschaftliche Notlage geraten.“ – ist öfter genau dokumentiert, wie jede Abweichung.

Reichlich, aber oft wenig greifbar war der Widerstand vieler Pfarrer, deswegen manchmal jesuitisch genannt: Mit Bildern aus der Bibel (Pharisäer und Reich Gottes) und den Hinweisen, „dass das nichts mit den heutigen politischen Verhältnissen zu tun hat“ kamen die Ermahnungen zwischen den Zeilen und die Verweigerung des „deutschen Grusses“ gab das öffentliche Zeichen dazu.

Die Kirchenoberen, manche auch noch von Adel, hielten sich da nicht so zurück, und daß die päpstliche Nuntiatur direkt gegenüber dem Braunen Haus stand, ist bis heute ein schlechtes Ohmen: Das Konkordat von 1933 gilt bis heute und zahlt der katholischen Kirche für ihr Schweigen zu den Judenmorden aus unseren Steuermitteln.

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