Emanzipatorische Bewegungen kommen in den oberen Klassen an: Autofirmen und die Bahn, internationale Unternehmensberatungen und Banken bringen die US-amerikanische Diversity-Bewegungen in die Betriebe, EU-Recht setzt die Anti-Diskriminierung und Gender-Mainstreaming als Fördergrundlage voraus.
Queerstudies bringen den soziologischen Blick auf die Geschlechtsrollen und die sexuelle Orientierung in den wissenschaftlichen Blick: Nicht nur die historische Fortführung der antirassistischen Bürgerrechtsbewegungen durch Frauen- und Schwulenbewegungen, auch die Aufmerksamkeit auf Minderheiten und abweichendes Verhalten machen deutlich, dass die alten (Kampf-) Begriffe nicht mehr stimmen,
Auch in den Communities wird wahrgenommen, dass die Selbstorganisationsstruktur bröselig wird, wenn die Sozialisation des Nachwuchses nicht mehr die gleiche Geschichte reflektiert.
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Bei Ikea und Obi, bei der Post und in der Bank wird längst trainiert, auch mit „besonderen Kunden“ angemessen umzugehen: Nicht nur das lesbische oder schwule Paar soll angemessen bedient werden, auch der Umgang mit Patchwork- und Regenbogenfamilien ist zu erlernen und auch in den Mitarbeitenden-Kreisen umzusetzen: Offenes Leben und bunte Belegschaften erhöhen die Arbeitsqualität und Zufriedenheit.
Eine jährliche Karrieremesse für Lesben und Schwule, benannt nach dem ersten offen schwulen Stadtrat Harvey Milk, bringt Anbieter aller Bereiche zusammen und reflektiert die Entwicklung im Land: Einzelne offen anders lebende Hochschulpräsidenten und Bürgermeister machen deutlich, dass es in vielen Firmen noch die alte „gläserne Decke“ für Frauen und auch für Männer „ohne Familie“ gibt: Das alte Muster der Familienpatriarchen wirkt noch.
Abweichendes Verhalten, „Junggesellen“ wie „Emanzen“ bedrohen noch immer die alten Erfolgsmuster zwischen glücklichen Familienbildern und Golf- oder Tennisplatz-Freundschaften.
Doch die Heteronorm an sich ist so sehr am Bröckeln, dass jedes offene Gespräch bestätigt: Die dauerhafte Ehe geht auf 30% zurück, von Scheidungen Alleinerziehenden und Singles geht es schnell weiter zu Patchwork-Lebensweisen bis zu Regenbogen-Familien, in denen Homosexualität und Kinderwunsch vereinbar sind.
Das bricht am Deutlichsten die alten Klischees der Tunten und Butches, Femmes und Lederkerle, aus denen die Emanzipationsgruppen bestanden, und bringt nach dem Partnerschaftsgesetz die Grundfrage der wirklichen Gleichstellung und Familienförderung statt alten Ehe-Privilegien.
Ähnlich irritierend wirken die Intersexuellen (früher sagte man Zwitter, ca 1 von 1000 Geburten) und die Transidenten Personen, für die früher hinter verschlossenen Türen gesorgt wurde, bevormundend und entmündigend.
Die alten Begriffe der damaligen Emanzipationsgruppen passen längst nicht mehr und blenden vor allem die Übergänge aus: Biografische Veränderungen wie Bisexualität bleiben wegen ihrer Verschiedenartigkeit ohne Kampfgruppen und passen nicht in die gängige Presselandschaft. Trotzdem gehören sie weder zu Krankheiten noch zu Störung und Minderheitsbehandlung, sondern zu Selbstbestimmung, und längst wird in anderen Ländern gefragt, (und geändert) ob der Staat ein Recht hat, mein Geschlecht zu bestimmen oder zu wissen.
In Polizeistaaten ist das natürlich notwendig, in Bürgerstaaten bestimme ich sogar meinen Namen selbst. Wohin argumentieren wir? Wem werden wir gerecht?
Wie kommen wir raus aus dem Klischee und Rollen-Denken?
Im alten Denken bleibt das Modell der Suche nach dem schwulen Fußballer: Lesbisch sein passt besser zu Fußball? Die Berichterstattung zeigt es.
Ein typisch gut gemeinter Artikel, der die alten Klischees zwar anspricht, aber behält:
Kritische Wissenschaft geht weiter: Sie betrachtet die Interessen und hinterfragt auch die Begriffe, und Homosexualitäten sind in der Fachiteratur der letzten Jahrhunderte entstanden.
Vorher wurden die biblischen Bilder und Begriffe verwendet: Sodomie und Unzucht … und für manche mittelalterlichen Menschen gelten sie heute noch.
Männer- und Rollenbilder und die Heteronorm der Non-Heteros
Frauen- und Anpassungsbilder und die Befangenheit in der Abwehr
Queer-und Diversity sind neue Arbeitsbegriffe in diesen komplexen Feldern, und es wird sich zeigen, welche in der öffentlichen Kommunikation aufgenommen werden:
Warme Brüder und kesse Väter, Tunten und Lederkerle, Urninge und Dioninge waren die alten Umschreibungen, und neue Fragen schliessen sich an: Wie geht die Kommunikation zu Vorlieben und Fetischen weiter, wie beschreiben wir die offenen und mehrfachen oder wechselnden Partnerschaften (Wie ist Promiskuität übersetzbar?)
Jede Beziehung wird für sich die Kommunikation entwickeln müssen, wie sie werden könnte, wenn sie nicht nur verliebtes Küssen bleiben will: In der Aids-Prävention (und zu allen „Geschlechtskrankheiten“) brauchen wir frühzeitig den Dialog, der früher erst zur Verhütung fällig war und in der Sparform als Feststellung „Du nimmst doch die Pille? ausfallen konnte.
Zumindest die Prävention und Sexualpädagogik braucht neue Begriffe, die auch für die Betroffenen und die Neulinge gut gebrauchbar sind.
Dabei sind Viele schon über die Vielfalt der Möglichkeiten erstaunt, und manche fallen erst später aus den selbst gemachten Himmeln, wie sogar eine chinesische Staatsregierung, die feststellt, dass durch die allgemeine „Schwulen-Diskriminierung“ in China über 17 Millionen Frauen betrogen wurden, weil sie von Männern geheiratet wurden, die gar kein wirkliches Interesse an ihnen haben.
In etlichen Internet-Foren dämmert jetzt auch bei uns etlichen Frauen, dass da mehr sein kann als „eine Andere“: Bisexualität wird für manche ein Synonym für Untreue, das offene Gespräch über Vorlieben und Phantasien kann davor schützen, denn nicht alles, was in den Wünschen ist, muss auch ausgelebt werden.
In den schwulen Netzgruppen wird deutlicher, wie groß der Anteil der Bisexuellen in der Gesellschaft wäre, aber die Selbstorganisation ist gering: Die Wenigsten wollen ein Coming Out, so lange es nicht nötig und günstig erscheint, denn neben der Vielfalt der Beziehungsmöglichkeiten wird mit dem Begriff auch eine Seite der Unzuverlässigkeit assoziiert, oder auch Unentschiedenheit, die aber weniger zutrifft, denn viele sind „entschieden Bi“.
Manche treffen sich zu Stammtischen und etliche in Fetisch-Gruppen, manche sind in Poly-Amory-Kreisen und andere gehen in Swinger-Clubs: Die Möglichkeiten sind heute vielfältig, die Kommunikation bleibt aber oft einfältig oder einsilbig. Noch behelfen wir uns meist mit englischen Fachbegriffen, wie die Medizin bei ihrem Latein für die Organe bleibt, aber wirklich verstehen werden wir uns erst mit neuen Worten.
Im Herbst wird es ein erstes Treffen von Bisexuellen im süddeutschen Raum geben, im Norden gibt es schon seit 1991 ein BIsexuelles NEtzwerk BINE e.V., das mit Förderung der Deutschen Aidshilfe entstand und regelmässig grosse Treffen organisiert.
Der Münchner Stammtisch ist monatlich am 3. Dienstag im Cafe Glück, Mailinglisten sind auf www.bi-muc.de zu finden, www.bi-muc.wordpress.com ist ein neuer Blog zum Mitschreiben.
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