Das Haus der Brandenburgisch-Preussischen Geschichte
zeigt Eindrücke und Materialien zur Jugend- und Lebensreformbewegung vor gut 100 Jahren
Aus grauer Städte Mauern … war wörtlich gemeint: Die rußig stinkende Stadt Berlin war in Industrialisierung und kaiserlicher spät-Bürgerlichkeit eng geworden, in Korsett und Moral, saufender Studentenseligkeit und Arbeitenden-Ausbeutung, zwischen Hunger und Selbstgerechtigkeit der „Guten“, fast wie heute …
Ein paar literarische Vorbilder und die Berichte von schwedischen Jugendbewegungen hatten immer mehr junge Leute „auf Fahrt“ gelockt, sich auf den Weg machen, auf Ochsenkarren und Pferdegespannen um Mitnahme zu bitten und notfalls wieder ein stück zu laufen, wo immer man ankommt, etwas kleines zu Essen und zu trinken, den Vögeln zu lauschen und zu fotografieren, in Zelten zu schlafen …
… und manche hatten es geschafft, bis in die Hitlerjugend weiter zu machen: Hans Scholl bekam einen Prozess wegen „bündischer Umtriebe“ und §175, aber das war in Ulm, nach einer ungenehmigten Lappland-Fahrt.
Kothen, die großen schwarzen Zelte, Bundhosen, Gitarren, nordische Hemden: Die Zeichen der Freiheit und demokratischen Denkens stellten sich gegen Rauchen und Saufen der schlagenden Studentenverbindungen, der Alten Herren und das alte Patriarchat.
Die jungen Frauen, die sich anschlossen, wurden in manche Gruppen aufgenommen, bei anderen zur Gründung eigener Bünde ermutigt, um nicht in Verantwortlichkeit zu kommen. Es gab Gruppen aller arischen, politischen und jüdischen Couleur (Farben) …
Die Ausstellung?
Bleibt seltsam matt und skurril, rhetorisch und exemplarisch, wirkt aber in meinem Gefühl nicht selbst an der Bewegung wirklich interessiert, obwohl und weil sie die spannenden Bilder der Nackten vom Monte Verita bis zum Wannsee präsentiert, die Kohlrabi-Apostel und Lebensreformer einschließlich Homöopathie und Steiner, Eden und mit Wirkung bis in die Fahrradwerbung.
Frauenprojekte wie „Schwarzerden“ und die Auseinandersetzung der Geschlechter würde die heutige Literatur schon dazu geben, und die breite Wirkung der Jugendbewegung vom Meißner für die Begeisterung zur Selbst-Werdung gegen den bürgerlichen Gehorsam, den Militarismus und die Demokratie: Das hat nachhaltig das Land verändert.
So bleibt der Geschmack der skurrilen Vögel, wo doch unsere Großeltern und Eltern alle irgend einen Bezug zu der Zeit hatten, der nicht nur so ganz verrückt erschien: Postkarten, Vorträge, Ausdruckstanz, Schauspiel (Ibsen, Frühlings erwachen) …
Für die Frauen kam der Mut zum Abschied vom Korsett (auch noch einmal in der 60ern zu erleben), der später weiter ging zur Befreiung von der „gemachten Figur“ und geschönten Maske, vom BH in der Studentenbewegung.
Gleichzeitig entstand mit der Fahrrad- und Turnerbewegung ein Bewusstsein zum Körper mit Ausdruck, Sport und Gemeinschaftlichkeit, die so nicht breit existiert hatte.
Besonderer Dank
Der für mich am Anschaulichsten wirkende Teil wurde die Ausführung zur Reformpädagogik, mit dem Adolf Reichwein und sein Wirken sehr anschaulich präsentiert wird:
Arbeitsgemeinschaften als neue Lernform
Zwei Versionen der Schule gab es in jener Zeit: Militaristische Zucht oder dialogische „Judenschule“, die vor allem die Jungs auf den Umgang mit den Diskussionen der Thora vorbereitete.
Die Reformpädagogik arbeitete, vor allem in den Initiativen um Adolf Reichwein, mit den neuen Strukturen von Arbeitsgemeinschaften: Der Ehrgeiz lag darin, mit den anderen Teilnehmenden eine Arbeits- und Lernsituation zu schaffen, die Hand, Herz und Hirn und alle Sinne anspricht und dabei gemeinschftlich das Erforschte dokumentiert.
Reichwein war Zeit seines Lebens ein typischer Wandervogel geblieben, hatte eine Weltreise gemacht und Volkshochschule geleitet, aber auch reformpädagogisch mit Schülern gearbeitet und war im Kreisauer Kreis als Kultusminister einer Regierung nach Hitler vorgesehen. Das führte zu seiner Hinrichtung am 20. Oktober 1944. wikipedia
In manchen Klassenzimmern ist seine „Zeitleiste“ auch heute noch zu sehen: Die Jahrhunderte „unserer Kultur“ in einer langen Reihe mit den wichtigsten Ereignissen und ausgeschnittenen Bildern von den Schülern selbst gestaltet: So prägen sich Daten und der Überblick ein;
und alle kennen aus dem Unterricht die Filme mit dem Abspann F-W-U, Reichwein hatte sich in der Reichs-Vorgänger-Institution für eine eigenständige Rolle des Films eingesetzt.
Dass das Wort „Arbeitslager“ einmal eine innovative positive Einrichtung war, ist nach den Nazi-Missbräuchen aller Ideen auch nicht leicht vorstellbar:
Hier kamen Studenten, Jungarbeiter und Jungbauern aus allen politischen Lagern zusammen, um gemeinsam eine Lösung der Wirtschaftsprobleme im Waldenburger Notstandsgebiet herbeizuführen.[2] „Arbeiterleistung und Arbeitereinkommen“, „Konsumgewohnheiten“ und „Verkehrsfrage in der Auswirkung auf die Preisbildung“ waren einige der behandelten Themen. wikipedia.org/…Löwenberger_Arbeitsgemeinschaft
Sieben Jahre später war Arbeitslager die Drohung des übergriffigen Staates im Reichsarbeitsdienst geworden, nicht mehr die Sammlung für fortschrittliche Ideen, und auch nicht mehr der Freiwilligen-Dienst FAD, der in den folgenden Jahren noch gemeinnützig gearbeitet hatte.
Die Arbeit von Reichwein wird aktuell gewürdigt:
Das Haus der Brandenburgisch-Preussischen Geschichte zeigt Eindrücke und Materialien zur Jugend- und Lebensreformbewegung vor gut 100 Jahren
Seine tragische
(WIRD zuerst dort FORTGESETZT:
reformpädagogik
Materialien im Archiv der Wandervogel-Bewegung auf Burg Ludwigstein bei Witzenhausen
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