Auf kaum einem Feld wuchern – von der Boulevardpresse bis in die juristische, psychologische und Polizeiliteratur – derart abenteuerliche Vorstellungen, wie angemessen mit Jugenddelinquenz umzugehen sei.

Da fordern Psychologen und Psychiater, möglichst schon anlässlich
des ersten Diebstahlsdelikts gleich eine psychologisch-psychiatrische Diagnose und Behandlung anzustellen; da wird, als Schuss vor den Bug, gefordert, mehr Freiheitsentzug etwa in Form eines Einstiegsarrests zu verhängen, um frühzeitig – anstelle von nur ambulanten Reaktionen – einen deutlichen Warnschuss zu setzen, und damit’s besser wirkt, längere
Strafen – Jugendstrafe bis zu maximal 15 Jahren – anzudrohen.

Derartige Vorstellungen ignorieren alles, was wir aus der Wirkungsforschung wissen: Freiheitsstrafen wirken nicht bessernd, und die Ausweitung der Strafandrohung führt nicht zu weniger Straftaten.

All diesen Vorstellungen liegt vor allem eines zugrunde: Eine völlig haltlose Überschätzung der Möglichkeiten einer Einflussnahme mit den Mitteln von Polizei und Justiz – und eine völlige Ignoranz bezüglich dessen, was wir über die Kinder- und Jugendkriminalität wissen und darüber, wie soziale Normen gelernt werden, wie soziale Lernprozesse
ablaufen.

Gerhard Spiess: Jugendkriminalität in Deutschland – zwischen Fakten und Dramatisierung (2010) S.30 http://www.uni-konstanz.de/rtf/gs/Spiess-Jugendkriminalitaet-2010.pdf