Felicia Langer – eine Kämpferin ohne Heuchelei
„Meine Lehre aus dem Holocaust bedeutet Menschlichkeit, Mitleid mit den Opfern und Ablehnung von Unrecht…
Ich habe das Leid der Palästinenser und ihre unerträgliche Lage mit eigenen Augen gesehen und mit ihnen gelitten. Dies sind meine Beweggründe bis zum heutigen Tag, mich für die Gerechtigkeit einzusetzen und meine Aufklärungsarbeit in Deutschland weiterzuführen.
Ich versuche im Sinne von den humanistischen Werten, die Menschenliebe bedeuten, zu handeln.“
Mit diesen Worten bedankte sich Felicia Langer für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 2009 durch den Bundespräsidenten Horst Köhler. Und sie fügte hinzu:
Doch war es immer ihr Schmerz, dass diese Würdigung sich für die Menschenrechte der Palästinenser nicht realisieren ließ.
Sie hatte viel Erfahrung mit Leid und Unrecht. 1939 musste sie mit ihren Eltern aus ihrer Heimatstadt Tarnow vor den Nazis in die Sowjetunion fliehen. Nach dem Krieg emigrierte sie nach Israel mit ihrer großen Liebe, Mieciu, der alle Angehörigen in den Konzentrationslagern verloren hatte.
Sie konnte Jura studieren und 1965 eine Praxis in Tel Aviv eröffnen. Ihre ersten Fälle waren arabische Demonstranten, Arbeiter, junge Kriminelle, von ihren Männern verlassene Frauen. Sie konnte sich nie mit den zionistischen Zielen des Staates Israel identifizieren und trat schon frühzeitig der Kommunistischen Partei bei.
Nach dem Krieg 1967 richtete sie ein Büro in Jerusalem ein, um die palästinensische Bevölkerung vor den Militärgerichten in Israel zu verteidigen. Doch 1977 schon wurde ihr dafür die Lizenz entzogen. Zudem konnte jedes Zivilgericht sie vom Prozess ausschließen, wenn das Verteidigungsministerium Sicherheitsbedenken vorbrachte. Sie war praktisch auf die Militärgerichte in den besetzten Gebieten beschränkt.
In dieser Zeit habe ich Felicia in Jerusalem besucht und sie bei ihren Prozessen und Gefängnisbesuchen in Nablus und Hebron begleitet. Sie war die einzige jüdische Rechtsanwältin, die diese Last der zumeist erfolglosen Prozessvertretung auf sich nahm. Es gab nur ein Thema in unseren Gesprächen, welche von den Erfahrungen der Willkür, Diskriminierung, Demütigung, der Isolation, Folter und Rechtlosigkeit in den Händen der israelischen Armee und Justiz bestimmt waren: wie kann ich helfen.
Sie hatte schon lange den Glauben an die Lüge von der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ verloren. Immer wieder scheiterte sie an der Korruption der Gerichte und Gefängnisbehörden. Ihre Sammlung an Andenken und Geschenken aus den Gefängnissen, die Dankbarkeit und Zuneigung ihrer Mandanten konnten sie lange Zeit vor den Angriffen aus der jüdischen Gesellschaft schützen.
Die Jerusalem Post schrieb 1983 in einer Reportage über Felicia Langer: „Diese Rechtsanwältin in einem Gespräch – selbst unter gebildeten Liberalen – erwähnen, erzeugt starke Äußerungen des Hasses und der Abneigung.“ Schließlich wurden die Anfeindungen jedoch so stark und die Arbeitsbedingungen in den vollkommen unkalkulierbaren Prozessverfahren so erschwert, dass sie 1990 ihre Praxis schloss und nach Tübingen zu ihrem Sohn Michael zog.
Es begann eine unermüdliche Vortrags- und Publikationstätigkeit, 14 Bücher insgesamt. Von „Die Zeit der Steine“ über den palästinensischen Widerstand (1990) über ihre autobiographischen Bücher „Zorn und Hoffnung“ (1991) und „Brücke der Träume“ (1994), „Brandherd Nahost oder: die geduldete Heuchelei“ (2004) bis zu der Sammlung von Reden und Interventionen „Bis zum letzten Atemzug“ im vergangenen Jahr.
Die Authentizität ihrer Kritik, ihre illusionslose Analyse und ihr ungetrübter Realismus brachten ihr nach dem Alternativen Nobelpreis (1990) für ihr Lebenswerk in Palästina zahlreiche weitere Preise ein: u.a. den Hans Litten-Preis, den Bruno-Kreisky-Preis, den Erich-Mühsam-Preis und vor allem den Palästinensischen Verdienstorden (2012).
In der Laudatio zum Hans Litten-Preis 1988 hieß es: „Der Inhalt und die Radikalität der Arbeit Felicia Langers ist überhaupt nur verständlich, wenn man sich annähernd eine Vorstellung davon machen kann, was in den besetzten Gebieten vor sich geht.
Es war vorwiegend Felicia Langer, die die Tatsachen über die Besatzungspolitik in der Welt bekanntmachte: Nicht nur die Folterungen in den israelischen Gefängnissen, die Strangulierung der Bevölkerung und die Politik der Entvölkerung. Sie informiert die Öffentlichkeit über den Grund, den Kern dieser Katastrophe: das Ziel der israelischen Regierung, diese Gebiete zu annektieren , zu kolonisieren und niemals wieder herauszugeben.“
Diese „verräterische“ Stimme musste zum Schweigen gebracht werden, und die täglichen Anfeindungen und Angriffe, die auch nach ihrer Übersiedlung nach Deutschland vor allem aus den jüdischen Reihen kamen, versuchten sie einzuschüchtern. Dass ihnen das nicht gelang, ist auch ihrem humorvollen Mieciu, ihrer „Klagemauer“ zu verdanken, der sie auf ihren Reisen begleitete, bis er vor drei Jahren starb – der wohl schwerste Verlust in ihrem Leben.
Es ist die Tragik dieser großen Frau, dass all die Anerkennung und ihre internationale Bekanntheit die Politik in Israel und Deutschland nicht zu einem Umdenken geführt haben.
Die ewige Berufung auf die Menschenrechte sollte auch für die Palästinenser Realität werden und nicht als pure Heuchelei verkommen. Ihre Wirkung lag auf der anderen Seite, dort wo die Berufung auf Völker- und Menschenrechte sich mit der aktiven Solidarität mit den Palästinensern verbindet. Diese andere Stimme in Deutschland bestärkte sie in ihrer Kritik an der israelischen Politik, ja, forderte die Deutschen geradezu als Verpflichtung aus ihrer furchtbaren Geschichte dazu auf und nahm sie gegen den Vorwurf des Antisemitismus in Schutz.
„Ich bin eine Jüdin, Israelin, aber auch Deutsche und mein Mann ist Holocaust-Überlebender“, sagte sie 2010 in einem Interview. Das gab ihr die Legitimation für ihre eigene Kritik und ihre Mahnung an die Deutschen, aus dem Holocaust nicht die falschen Lehren zu ziehen. Am 22. Juni ist Felicia Langer gestorben, ihr Beispiel und ihre Mahnung leben fort.
Norman Paech,
Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V.
Rechtsanwältin Ursula Mende – Bundesgeschäftsführerin –
St Anton-Str. 116 – 47798 Krefeld Tel: 02151 – 15 26 16 – Fax: 02151 – 77 70 78
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