Volksentscheid statt Tränengas – Von David Nauer.
… Der Streit um den neuen Stuttgarter Bahnhof ist eskaliert. Schuld ist ein politisches System, das die Bürger vergrault statt integriert. Deutschland braucht dringend Reformen.

Die tiefere Ursache der Eskalation liegt aber im deutschen politischen System, das sich verschoben hat und eigentlich nicht mehr funktioniert. Auch in Berlin rebellierte jüngst die Menge – gegen die Atompolitik der Regierung. In Hamburg stellte sich eine Mehrheit gegen die Schulreform, die Grüne und Schwarze aufgegleist hatten.

Der Bahnhof in Stuttgart, die Schulen von Hamburg, ja vielleicht die AKW, sind nur Symptome. Der Historiker Paul Nolte glaubt, dass sich die Demokratie insgesamt verändert hat. «In zentralen und dann symbolisch übersteigerten Konflikten genügt die Legitimation der repräsentativen Demokratie nicht mehr, also die Entscheidung eines immerhin gewählten Landtags, eines Stadtparlaments», sagt er. Ob man diese Entwicklung begrüsse oder bedauere, spiele keine Rolle. «Die Demokratie ist überlagert worden durch Formen der direkten Demokratie. Entscheidungen wie die in Stuttgart bedürfen nach Ansicht vieler einer ‹zweiten Legitimation›.»

Die Elite verliert an Autorität

Mit dieser Argumentation stösst Paul Nolte in den Kern des Problems vor. Die Parteien, die Politiker und die Institutionen haben in den Augen vieler Menschen das Recht verloren, Entscheidungen zu fällen. Das mag mehrere Gründe haben: einerseits Anmassungen der politischen Klasse, die sich zu sehr mit sich selbst beschäftigt, die sich insbesondere seit dem Umzug nach Berlin in einem ganz eigenen Kokon bewegt. «Die haben», enerviert sich ein Stuttgarter Demonstrant Typ pensionierter Ingenieur, «gar keine Ahnung mehr, wie wir leben.»

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